Interview mit Markus Hauke im August 2006

Der Schlag-Werker Markus Hauke konstruiert, des Schweißens kundig, den größten Teil seiner Hardware selbst und baute auch seine Boobams in Eigenregie. Im Spannungsfeld zwischen Extrem-Avantgarde (unter anderem ex-Ensemble Modern) und Neo-Romantik spielt er Percussion auf höchstem Niveau und hat es allenfalls seiner in bestem Sinne asiatisch anmutenden Bescheidenheit zu "verdanken", dass er (noch) nicht den Bekanntheitsgrad erlangt hat, den er längst verdiente, denn selbst in den hehren Sphären der sogenannten klassischen Musik kommt es bekanntermaßen oft weniger auf Klasse denn auf begnadete Selbstdarstellung an.



ragazzi: "Wie kamen Sie zu den Schlaginstrumenten?"

Markus Hauke: "Im Alter von sechs Jahren fing ich quasi genetisch vorbelastet an Klavier zu spielen - mein Vater ist nebenberuflicher Kirchenmusiker. Ich hatte sogar mal angefangen mich mit Kirchenorgel zu beschäftigen. Mitte der siebziger Jahre, als ich 14 Jahre alt war, gab es dann einen totalen Bruch und ich dachte, ich müsste unbedingt Drummer in einer Rockband werden. Ich weiß gar nicht mehr so genau, was mich zu diesem Entschluss veranlasste, jedenfalls beschäftigte ich mich in dieser Zeit eingehend mit Rockmusik. Ein wenig schwang aber auf alle Fälle die Rebellion gegen das Elternhaus mit - man will etwas ganz anderes machen als die Eltern, um sich dadurch von ihnen abzugrenzen, wohl auch deshalb lernte ich also Schlagzeug. Man erster Schlagzeuglehrer, der aus der Klassik kam und Orchesterpauker und Schlagzeugdozent an der Uni war, hatte als Drummer begonnen, ohne allerdings in einer bekannteren Band gespielt zu haben und so bin ich dann in die Klassik reingerutscht. Ich spielte in der Folgezeit in einem Percussion-Ensemble und studierte nach den Abi schließlich Schlagzeug."

ragazzi: "Wie hat sich eigentlich der Percussionbereich in der Klassik innerhalb der letzten Jahrzehnte entwickelt?"

M. H.: "In meiner Generation fingen klassische Percussionisten vielfach mit den Drumset an, heute dagegen tritt eine immer stärkere Spezialisierung zutage, die auch im Zusammenhang mit den technisch ständig anspruchsvoller werdenden Kompositionen steht; manche Nachwuchs-Percussionisten spezialisieren sich daraus resultierend sehr stark und spielen z.B. nur Marimba. Gerade Marimba entwickelt sich immer mehr zum Fraueninstrument, denken Sie nur an die ganzen japanischen Marimba-Mädels. Drumset dagegen ist noch immer fast ein reines Männerinstrument. Vor dreißig oder vierzig Jahren dagegen war das, was reine Orchesterschlagzeuger technisch abgeliefert haben, nicht so umwerfend, um es mal ein bisschen böse auszudrücken. Das hat natürlich auch etwas mit der Entwicklung der Neuen Musik zu tun; hier stiegen die Anforderungen gerade im Malletbereich nach dem Zweiten Weltkrieg enorm an. Dieser Entwicklung musste man in der universitären Ausbildung von Schlagzeugern natürlich Rechnung tragen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass man es als Allrounder heute immer schwerer hat sich über Wasser zu halten und auf allen oder zumindest mehreren Instrumenten, die der Percussionbereich bietet, wirklich gut zu sein. Wenn in großen Orchestern beispielsweise ein Drummer verlangt wird, holt man einen Spezialisten von außen dazu."

ragazzi: "Wie lautet Ihre begriffliche Repräsentanz von Neuer Musik?"

M. H.: "Das ist sehr schwierig, aber als Stichwort muss in diesem Zusammenhang natürlich die Zweite Wiener Schule fallen. Im Schlagzeugbereich halte ich Varese für grundlegend; als die ersten Percussion-Ensemblestücke aufkamen, wurde es für Schlagzeuger richtig interessant. Ich habe aber prinzipielle Schwierigkeiten mit dem Begriff ``Neue Musik``, denn ich finde es haarsträubend etwas Neue Musik zu nennen … Was ist Neue Musik? Ist nicht jede Musik nur zur jeweiligen Zeit ihrer Entstehung neue Musik? Für mich persönlich gilt, dass ich mich immer weiter von der sogenannten Neuen Musik entferne, da dort meines Erachtens sehr viel ``Schrott`` dabei war, als man nicht tonal komponieren ``durfte``. Hier gibt es seit einigen Jahren zum Glück wieder eine Gegenbewegung."

ragazzi: "Differenzieren Sie im Schlagzeugbereich zwischen ``Musik`` und ``Klang``?"

M. H.: "Ravel hat mal gesagt: ``Schlagzeug ist Klang``. Diesen Satz kann ich nur voll und ganz unterschreiben, denn in diesem Bereich deckt man meist viele verschiedene Instrumente ab und denkt damit automatisch mehr in verschiedenen Stilistiken als meinetwegen jemand, der Klarinette spielt. Als Schlagzeuger hat man von daher einen fast schon zwingend weiteren Blickwinkel als die Musiker der restlichen Instrumentengruppen. Auch bei meinen eigenen Stücken, für die ich den Begriff ``schreiben`` und nicht ``komponieren`` verwende, macht sich dies bemerkbar. Cage hat übrigens mal ein Stück geschrieben, das er ``Composed Improvisation`` genannt hat, worin eine gewisse Ambivalenz bereits im Titel zum Tragen kommt."

ragazzi: "Üben Sie noch regelmäßig und falls ja, gehen Sie dabei nach einem bestimmten System vor oder üben Sie, was gerade ansteht?"

M. H.: "Ich übe nicht mehr in dem Maß wie zu Studienzeiten, damals waren das sechs bis acht Stunden täglich. Wenn man mal en gewisses Level erreicht hat, genügt es oft die Sachen vorzubereiten, die aktuell dran sind. Manchmal wäre es allerdings nicht schlecht, wenn ich bestimmte Bereiche wieder "aufwärmen" würde, aber das lässt sich zeitlich meistens nicht realisieren." ragazzi: "Woran arbeiten Sie zur Zeit?"

M. H.: "Neben verschiedenen Orchesterjobs und Projekten mit Phase 7 und meinen Solokonzerten arbeite ich immer mal wieder an meiner zweiten Solo-CD, die drei Stücke enthalten wird. Es gibt ein Fellstück für eine Rahmentrommel, die einen Durchmesser von einem Meter hat, es gibt ein Stück mit Holzinstrumenten und Pflanzenmaterialien, das ich gerade überarbeite. Ich hatte mir zu Beginn der Sommerferien vorgenommen, dass ich mich jeden Tag mindestens drei Stunden in mein Studio setze und daran arbeite und bis jetzt hat es auch funktioniert. Das dritte Stück heißt ``Metal Soundscape`` und dauert 33 Minuten und 33 Sekunden. Außerdem bin ich gerade dabei eine Percussion-Event-Truppe zusammenzubauen."

ragazzi: "Hat die Schnapszahl ``33.33`` eine tiefere Bedeutung oder ist Ihnen diese Länge zugefallen?"

M. H.: "Einerseits hat die Zahl eine tiefere Bedeutung, andererseits ist die Länge des Stückes zufällig entstanden, wobei ich nicht an Zufall glaube. Es gibt keinen Zufall für mich. Lustigerweise ist das Pflanzenstück 22 Minuten und 22 Sekunden und das Fellstück 11 Minmuten und 11 Sekunden lang. Die CD wird dann insgesamt 66 Minuten und 66 Sekunden lang sein oder umgerechnet 67 Minuten und 2 Sekunden, was aber weit weniger spektakulär klingt. Das hat sich so ergeben und ist ursprünglich auch keine Absicht gewesen. Man kann es interpretieren, wie man will."

ragazzi: "Welche Entstehungsgeschichte verbirgt sich hinter den drei Stücken, die sich auf Ihrer zweiten Solo-CD befinden werden?"

M. H.: "Ich wollte jeweils ein Stück für die drei Gruppierungen Holz, Fell, Metall schreiben und machte mich also daran, dies auch konsequent umzusetzen. Das Metallstück entstand, als ich fast meine komplette Sammlung an Metallinstrumenten in meinen Käfig reingebunden hatte und dachte ``Schön, jetzt machst Du mal ein Stück damit.`` Es stellte sich aber schnell heraus, dass ich das Stück alleine nicht so realisieren konnte, wie ich mir das ursprünglich vorgestellt hatte und aus diesem Grund griff ich zu dem Hilfsmittel ``Zuspielband``, um ``Metal Soundscape`` innerhalb meines Soloprogramms spielen zu können. Teilweise sind zwanzig Spuren übereinander auf dem Band; nach der Komplettaufnahme des Stückes habe ich dann überlegt, welche Spuren ich am besten live spielen könnte. Auf dieser Grundlage habe ich dann eine Live-Version hergestellt, indem ich aus dem fertigen Stück jeweils die Spuren weggelassen habe, die ich selbst spiele, während das Band dazu abläuft. Mein Pflanzenstück, mit dem ich gerne mal, was sich förmlich aufdrängt, bei einer Bundesgartenschau auftreten würde, wurde durch Cage beeinflusst, von dem ja das Pflanzenstück ``Child Of Tree`` stammt."

ragazzi: "Wie entstand die Idee ein Stück ausschließlich mit Laborgläsern zu machen?"

M. H.: "Das Stück wurde für die Eröffnung des Wissenschaftssommers 2003 konzipiert. Ich bin zwecks Auswahl der Gläser im Lager der Firma Schott, die unsere "Instrumente" hergestellt hatte, umherspaziert und habe Erlenmeyerkolben und andere Gefäße jeweils in allen vorhandenen Größen nach ihrem jeweiligen Klang ausgewählt, was bei den Mitarbeitern der Firma die unterschiedlichsten Reaktionen auslöste. Mit großen Kolben, die auf einen Tisch geklopft wurden, haben wir Bassfiguren gespielt und dann darüber Drum´n Bass-Grooves gemacht."

ragazzi: "Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Projekt ``Phase 7``, bei dem Sie ja mitwirken, genau?"

M. H.: "Einerseits ist Phase 7 im Eventbereich tätig, andererseits aber auch im freien künstlerischen Bereich. Entstanden ist das Ganze aus einem Tanztheater. Unser Chef Sven Beyer ist Regisseur und Choreograph sowie inzwischen auch Videospezialist. Der Gedanke durch Events die freien Kunstprojekte zu finanzieren hat sich bestens bewährt. Die erste gemeinsame Produktion war ein Stück für drei Tänzer und drei Musiker und trägt den Titel ``Strange Particles``. Es ist ein abendfüllendes Stück mit sieben oder acht Parts, die teils mehr, teils weniger improvisatorische Züge aufweisen. Das letzte Stück, das wir gemacht haben und für das ich die Musik geschrieben habe, nennt sich ``Delusions`` und kann als Form des Musiktheaters bezeichnet werden. Es ist für zwei Tänzerinnen, Percussion und Elektronik sowie sieben Videobeamer konzipiert. Davon wird es übrigens in Kürze eine Fortsetzung geben, die sich - wer hätte das gedacht - Delusions II nennt. Unsere Events entstehen prinzipiell in Absprache mit den jeweiligen Kunden und sind künstlerisch durchchoreographierte Veranstaltungen, die sich stets an einem Thema orientieren und nicht etwa aus Zauberkünstler und Bauchtanzgruppe zusammengewürfelt werden, was sich dann ebenfalls Event nennt. Wir kommen alle aus dem Theaterbereich und neben einem festen Team variiert die Anzahl der Mitwirkenden je nach Projekt zwischen zwei und zweihundert. Beispielsweise haben wir die Kanzleramtseröffnung als Open Air-Vierstundenshow mit 25 000 Zuschauern gestaltet, arbeiten aber auch für große internationale Firmen. Inzwischen haben wir sogar eine Zweigstelle in Dubai, weil sehr viel im Nahen Osten abläuft - Oman, Katar, Kuwait."

ragazzi: "Haben Sie - nicht als Schlagzeuger, sondern als Musikhörer - einen Lieblingskomponisten?"

M. H.: "Nicht nur einen, sondern gleich drei: Mahler, Varese und Bach. Bach ist ohne jeden Zweifel das größte musikalische Genie, das die Menschheit jemals hervorgebracht hat, weil man ihn einerseits ohne jegliche Vorkenntnisse hören kann, ihn andererseits aber mit unglaublich vielen Vorkenntnissen noch viel tiefgehender hören kann. Mahler ist für mich einer der ganz großen symphonischen Komponisten, weil er einfach ein völlig durchgeknallter Typ war. Varese war seiner Zeit unglaublich weit voraus und hat quasi die Elektronik vorweggenommen."

ragazzi: "Haben Sie musikalische Träume, die Sie irgendwann einmal gerne verwirklichen möchten?"

M. H.: "Mich weiter in den Bereich Komposition einzuarbeiten, weg vom reinen Percussionbereich und hin zur Filmmusik; diesen Klangkosmos finde ich sehr spannend. Heutzutage kann man ja zu Hause mit Hilfe des Computers ganze Orchester entstehen lassen." ragazzi: "Gibt es irgendwelche Musiker, mit denen Sie gerne mal arbeiten würden?"

M. H.: "Nein, da fällt mir kein bestimmter Name ein. Das, was sich in punkto Zusammenarbeit ergeben soll, wird sich auch ergeben; Vorbilder habe ich schon lange keine mehr."

ragazzi: "Was halten Sie von Konzepten wie ``Stomp`` oder ``Blue Men Group``?"

M. H.: "Finde ich ganz fantastisch, weil sie einerseits dazu beigetragen haben den Percussionbereich populärer zu machen und andererseits Unterhaltung und musikalischen Anspruch hervorragend miteinander verbinden. Gerade ``Stomp`` finde ich genial. Früher wurden z.B. Menschen, die in Fußgängerzonen Djembe spielten, belächelt; heute spielt jede zweite Hausfrau Djembe. Drum Circles gab es vor etlichen Jahren überhaupt nicht in Deutschland, ganz zu schweigen von den vielen Sambagruppen, die heutzutage nicht nur zur Karnevalszeit Konjunktur haben."

ragazzi: "Darf Kunst auch unterhaltend sein oder muss sie immer mit dem Duktus des Bedeutungsschwangeren einhergehen?"

M. H.: "Überhaupt nicht, ich finde es schön, wenn Kunst auch unterhaltend ist. Diese ganze Kategorisierungswut, sei es innerhalb der Musik in ``E-`` und ``U-Musik`` oder in anderen Sparten der Kunst, verstehe ich sowieso nicht; sie ist mir sogar suspekt."

ragazzi: "Arbeiten Sie lieber im Studio oder auf der Bühne?"

M. H.: "Beide Formen haben ihre jeweils spezifischen Reize, die ich nicht missen möchte. Allerdings sehe ich bei mir eine Verlagerung des Schwerpunktes hin zur Studioarbeit, weil ich keine Lust mehr habe, mich dem ständigen Transportstress auszusetzen."

ragazzi: "Wo liegen für Sie die von Maki Ishii zitierten spirituellen Qualitäten der Schlaginstrumente?"

M. H.: "Gute Frage, da muss ich mal kurz nachdenken … O.K, gerade bei den Metallsounds, wenn ich in meinem Käfig stehe und Neues ausprobiere, das ist eine andere Bewusstseinsebene, auf die man sich da katapultiert."

ragazzi: "Gibt es für Sie Unterschiede zwischen dem Spiel auf Klangskulpturen und dem auf konventionellen Instrumenten?"

M. H.: "Neben dem auf der Hand liegenden optischen Aspekt kann man hier kaum verallgemeinernde Aussagen treffen, außer dass manche Klangskulpturen eine Erweiterung des Klangspektrums darstellen und Spieltechniken zulassen, die man nicht in erster Linie mit Schlaginstrumenten in Verbindung bringt."

ragazzi: "Gibt es etwas, das Ihnen an Ihrem Spiel nicht gefällt bzw. das Sie als verbesserungsfähig erachten?"

M. H.: "Ja, der Groove ist mir zu sehr in den Hintergrund geraten. Ich habe ja am Drumset angefangen und bin dann in die Neue Musik abgedriftet und da ist Groove meist nicht vorhanden oder zumindest nicht vordergründig präsent. Es ist mir aber ein Bedürfnis zum Groove zurückzukehren. Ich spiele immer nebenbei auch wieder Drumset, aber in diesem Bereich bin ich leider nicht da, wo ich sein möchte."

Frank Bender



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