Hattler „Live Cuts II“ (Bassball Recordings/36music)


Hatt(l)er's mal wieder geschafft, der Hellmut und serviert uns einen Cockteel aus Ingredienzien wie Jazz, Rock, Pop, Funk, Soul, Elektronica, Lounge und World Music, der bei jedem Aufguss anders schmeckt wie der sagenhafte Bittertee Yi Yip Cha, der leider nicht mehr nach Deutschland importiert werden darf und bei dem ein einziges Blatt für zehn Aufgüsse, jeweils eine ganze Kanne wohlgemerkt, verwendet werden kann. Jeder Aufguss besitzt dabei eine eigenständige Note; das ist Teegenuss in Vollendung. Das akustische Vers-Ion dieses fraktalen Gaumenkitzels gelingt Hellmut Hattler, der seinen Bass singend, zirpend und jubilierend die Skalen auf- und absteigen lässt wie eine Lerche, mit seiner Band aus Fleisch gewordenen Energiewirbeln; Fola Dada besitzt eine der gewaltigsten und ausdrucksstärksten Stimmen, die mir jemals zu Ohren gekommen sind. Ihr Timbre hebt sich in wohltuender Weise deutlich von den nervösen Sopranösen, die teilweise schon im Ultraschallbereich weibrieren, ab. Folas Stimme erinnert frappierend an einen Mix aus Artemis (Illegal Aliens) und Joyce Kennedy (Mother's Finest), die beide zu meinen Lieblingssängerinnen gehören. Thorsten de Winkel an der E-Sitar und diversen Gitarren zaubert ständig auffällig unauffällig und spielt dabei mindestens so beseelt wie der gleichermaßen unterschätzte Andy Summers. Beide sind sie wahre Großmeister ihres Faches, die in technischer Hinsicht zwar auch die Sparte aerobics on guitar bedienen können, die aber weit davon entfernt sind, solches zu tun, denn sie haben derart pubertäres Muskelspiel wirklich nicht nötig; sie ziehen lieber besser zum Tieftöner bassende Saiten auf und hangeln sich gekonnt daran entlang. Schließlich und endlich ist da noch Oli Rubow am Schlagwerk, der meist so schwungvoll groovt, dass seine filikraane Subtilität, mit Noten und Pausen zu spielen, gar nicht auffällt. Oli ist mitnichten (und neffen) ein knüppelschwingender Grobmotoriker, sondern ein Derwisch, der mit mancherlei Schlagwerkzeugen über alle Felle wischt, dass sich bei konzentriertem Hören so einiges vor dem geistigem Auge zu drehen beginnt. Soll noch mal jemand behaupten, Musik sei keine Droge! Trotz der Gesamtspielzeit dieser Doppel-CD von fast zwei Stunden wird die Musik zu keiner Sekunde langweilig; mein Favorit ist das Stück „Delhi News“, bei dem sich bereits im Titel spiegelt, wohin die Reise geht. Aber auch wie die Hattlers tonale Drachen steigen lassen oder sich fragen, ob unter den schlafenden Zombi-Schafen, die ständig in der Art einer Schluck-Impfung freiwildig blaue Pillen naschen, jemand wirklich lebt, muss man gehört haben. Alles weitere sollte man unbedingt selbst erleben und sich ergo den Doppel-Chopper der Marke Super-Tuning ins Haus holen, um je nach persönlichem Geschmack seinen Favoriten ausloten zu können, wozu es mit an Scheinwahrlichkeit grenzender Sicherheit mehrerer Durchläufe bedarf. Diese Musik wächst wie Pinocchios Nase, wenn dieser schlaftrunken an der Matrixe lauschend die Tele-Funken lügen hört und kritiklos wiedergibt, was er vernommen hat.

hellmut-hattler.de
Frank Bender




Zurück