Technik



Die Hillbilly Arbeitsaxt

Auf den ersten Blick
Nashville-Gitarrenikone Chet Atkins würde die 5120-er Gretsch lieben. Denn der Meister mochte sein Werkzeug simpel. Beim günstigen 5120-Modell hat sich Gretsch auf das konzentriert, was eine waschechte Rockabilly-Gitarre ausmacht. Zwei mittelheisse Pickups im Hollowbody, natürlich ein Bigsby, einen tollen Hals, alle Knöpfe an der richtigen Stelle. Dazu ein atemberaubendes Orangefinish. Diese Gitarre will es fetzen lassen!

Verarbeitung und Technik
Die in Korea gebaute Elektromatic 5120 verzichtet auf Schnörkel, der bei den teuren Gretsch Modellen zu bewundern ist. Hier gibt es keine goldenen F-Loch Einfassungen, keine Brandzeichen, keine Rüschen und Verzierungen fürs Geld, sondern Gitarre pur. Der Hollowbody Korpus aus Ahorn ist perfekt zusammengefügt, das Holz hat eine hübsche Maserung die Zargen erfreuen den Betrachter sogar mit einer Flammung. Die Bindings sind meisterlich verklebt. Decke und Boden des Bodys sind mit einem von Gretsch als Tonepost bezeichnetem Vierkantholz verbunden, das unkontrollierbare Schwingungen bei Lautstärke im Zaun halten soll. Der Hals ist eine mehrteilige Schönheit aus Ahorn mit einem leicht gerundeten 12" Griffbrett aus Rosenholz, die 22 mittelstarken Bünde sind sauber abgerichtet. Nichts zu nörgeln in der Holzabteilung. Ein lizensiertes Bigsby tut seinen Dienst ohne aufzufallen, ein durchsichtiges Schlagbrett schützt das Finish. Zwei mit verchromten Kappen aufgehübschte Humbucker, in Fachkreisen Gretschbucker genannt, speisen den Ton ins Kabel. Sie sind typisch für Gretsch verdrahtet: ein Kippschalter sitzt wie bei einer Paula an gewohnter Position und schaltet zwischen den Tonabnehmern hin und her. Dann wird es "Gretsch-ig": ein Mastervolume-Poti sitzt im Horn des Cutaway und bestimmt die Gesamtlautstärke. An gewohnter Stelle tummeln sich je ein Volume-Poti pro Pickup und ein Master-Tonpoti. Diese Anordnung von Reglern ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die Potiknöpfe verbreiten diskret einen hohen Coolnessfaktor, denn die sind mit einem G wie Gretsch und einen Pfeil verziert. Die tauscht man nicht so schnell gegen Aftermarket-Knöppe mit Totenschädeln oder Würfeln aus, denn das ist amtlich! Im Gegensatz zur popelig auf die Zarge geschraubten Ausgangsbuchse. Hier schnappt das Kabel nicht vertrauensbildend ein und das Ganze wurde schnell locker. Ich werde eine Profi-Buchse nachrüsten und auf eine Paula-mäßige Platte schrauben. Die Saiten laufen über einen Steg, der ebenfalls schlechte Gefühle bei mir hervorgerufen hat: die Saitenreiter der Adjust-O-Matic Brücke piksten mir empfindlich in den Handballen. Dazu später mehr. Typisch Gretsch sind auch die verschraubten Gurtknöpfe, die sehr rockig rüberkommen und den Gurt gut in Position halten. Die Saiten schlüpfen nach Überwindung der 624 Millimeter langen Mensur durch einen 43 Millimeter breiten Sattel in offenen Stimmmechaniken. Diese sind mit Ornamenten geprägt und funktionieren tadellos.

Bespielbarkeit, Sound und Tipps
Ab Werk ist die Gitarre perfekt spielbar. Mir persönlich war die Saitenlage zu niedrig und die Saiten zu dünn. Um einen satten Twang zu erzielen, habe ich einen Satz 11-49-er aufgezogen und die Saitenlage etwas höher geschraubt. Bei der Gelegenheit habe ich gleich noch die Bundreinheit eingestellt und die frei schwebende Bridge mit Doppelklebeband fixiert. Sofort fiel mir auf, daß die Saitenreiter vor sich hin rappelten. Das kurierte ich mit sechs Tropfen Uhu. Dem unangenehm herausstechenden Saitenreiter der tiefen E-Saite rückte ich mit ein paar gezielten Feilenstrichen zu Leibe, um die Kante zu brechen. Ab dann herrschte Frieden und Ruhe in der Abteilung Brücke. Genug gemäkelt und gebastelt.
Unverstärkt klingt die Gretsch wie eine leise Akustikgitarre mit Tremolohebel. Sie kann sich natürlich nicht mit einer Dreadnough messen, aber es macht Spaß, Rockabilly-Licks trocken mit Tremolo zu üben. Ganz besonders, weil sich der Bigsby und der Steg als erfreulich stimmungsstabil erweisen. Das mag natürlich auch daran liegen, daß mit einem Bigsby nur leichte Tremolos gelingen, Divebombs sind ebenso unpassend wie unmöglich. Dies ist schliesslich eine Rockabilly Gitarre!
Am Gurt hängt die Gretsch ausgewogen und sicher. Im Vergleich zu einer Solidbody-Gitarre hat man richtig was zu packen. Und man fühlt sich mit so einer Gitarre sofort richtig gut angezogen. Das spart Kosten für Bühnenkleidung.
Am Verstärker sorgt die Gretsch für einige freudige Überraschungen. Der Output der Pickups ist deutlich höher als bei einer Tele und die Gitarre kling deutlich rauchiger, erdiger und rauer als eine Les Paul. Da die Gretsch eine Hollowbodygitarre ist, bringt sie einige akustische Elemente mit, die den Sound mit einer hölzernen Lebendigkeit abrunden. Wer normalerweise eine Singlecoilgitarre am Amp betreibt, kann im Prinzip die gleichen Einstellungen nutzen, ist aber gut beraten den Treblepoti Pi mal Daumen drei Striche höher einstellen.
Der Sound stellt sich als äusserst tragfähiges Vehikel für Pickings, Singlenotes und Miniakkorde dar. Im cleanen Betrieb klingen die beiden Pickups warm und angenehm, ohne kratzende Höhen. Der Bridgepickup liefert ausreichend Twang, der Halspickup bringt softe Chords schön rauchig rüber. In der Mittelstellung perlen die Töne angenehm aus dem Speaker.
So richtig inspirierend wird es mit der Gretsch im ganz leicht angezerrten Bereich, gewürzt mit einem kernigen Slapback Echo. In diesem Soundbereich geht richtig die Sonne auf und die Gitarre inspiriert zu halsbrecherischen Rockabillylicks. Schön schnittig in den Höhen, mit ordentlich Bumms untenrum. Besonders gut gefällt mir das Feedbackverhalten der Gretsch: Durch den Tonebar schwingt sich der Body nicht in unkontrollierte Regionen auf, mit etwas geschicktem Körpereinsatz kann die Gitarre in einen anderen Winkel zum Amp gedreht werden und so das Feedback recht präzise gesteuert werden. In den Foren liest man oft, daß 5120-Picker die Orginal-Pickups gegen TV-Jones austauschen. Man sollte sich da nicht verrückt machen lassen, denn für meine Begriffe tun es die Gretschbucker wirklich gut.
Erst im Bereich Heavyzerre zeigt sich, wo bei der Gretsch das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Um einen wirklich überzeugenden, definierten und muskulösen Metalsound zu erzeugen, sind die Signale aus der Gitarre unpassend. Doch für diese Anwendungen gibt es Gitarren wie Sand am Meer.

Fazit
Mit der Electromatic bekommt man von Gretsch eine tolle Gitarre in die Hand gedrückt, die gut spielbar ist und Charakter besitzt. In einer Herde von Durchschnittsgitarren à La Tele/Paula/Strat sticht diese Gitarre heraus, wie ein alter Heckflossen-Strassenkreuzer aus einer deutschen Ampelschlange. Die wirklichen Makel der Gitarre sehe ich in der unsäglichen, klapprigen Billigbrücke und der Ausgangsbuchse. Die Verarbeitung ist Klasse und gediegen. Die Sounds sind für den Einsatzzweck der Gitarre gut und brauchbar. Und es ist eine Gretsch.

Plus:
Verarbeitung
toller Hals
Look und hoher Glamourfaktor
Preis
Sound

Minus:
rappelige Billigbrücke
lockere Ausgangsbuchse




Eddie Wagner/Captain Twang




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