Paul Gilbert "Silence Followed By A Deafening Roar" (Mascot Records, VÖ: 28.03.2008)

Paul Gilbert ist nicht nur ein Perfektionist in Sachen technischen Gitarrenspiels. Er ist Rock-Komponist mit einem ausgeprägten Sinn für Überraschungen. Die 11 Songs seines jüngsten Werkes "Silence followed by a deafening roar" sind auf den ersten Blick relativ "normale" harte Instrumentalrocker. Doch es tun sich in jedem Song so viele Details und solistische Einlagen aus allen möglichen Stilbereichen auf, dass die Erfahrung des ganzen Inhaltes einige Hördurchläufe erfordert und dem geneigten Zuhörer schließlich viele Aha-Effekte und Überraschungsfreuden beschert.
Verstärkung hat sich Paul Gilbert mit Mike Szuter (b), Jeff Bowders (dr) und Emi Gilbert (Hammond B3, p) zugelegt, seine Ideen mit Schmackes und Laune zu zelebrieren. Es ist zu hören, dass die Band Spaß an den steten Grenzüberschreitungen hatte, so locker und virtuos die Songs klingen, so eingängig sie sind, so kompliziert sind sie auch.
Vitaler Hardrock mündet in aus der klassischen Musik inspirierten Strukturen, nicht nur im Endteil von "Eudaimonia Overture", das direkt von Johann Sebastian Bachs Partituren abgeschrieben wurde. Teeniehardrock gipfelt in komplexen Frickelgewässern, lässige Balladenharmonie geht in ungestümem und in aller Expressivität stets eingängigem und leicht nachvollziehbarem Rock'n'Roll auf. Der stete Wechsel ist nicht beschreibbar, er besteht ständig und ist doch nur in allen Facetten Teil aller Seiten dieses Kompositionslüstlings und Gitarrenzauberers.
Bestes Beispiel für das Überfahren allgemeingültiger Rockvorstellungen ist der zuerst wie der erste Ferientag klingende Teenager-Party-Groove-Nervenkitzel "Norwegian Cowbell", schon zu Beginn ist das Zuhören schlicht große Lust, der Song zieht von der ersten Sekunde in den Bann. Doch schon gleich nach dem Entree des eingängigen Motivs überrollt Gilbert mit technischem Gefrickel den eben noch zum wilden Tanzen aufspringenden Hörer, und bannt ihn mit hypnotischer Wirkung.
Die 11 Songs sind kurz und bündig. Es gibt keine Fettzellen an diesen mageren Songkörpern, wohlgestalt und ohne Bürde auf der Hüfte gehen diese flotten Teile dann auch rasant in die Ohren und durchspülen die Hirnzellen sich anstecken lassender und sicherlich bald perplexen Rockfreaks. Selbst so ein mordsheavy aufbrausender Track wie "Bronx 1971", der übrigens keine Nostalgie transportiert, es sei denn, aus seiner dramatisch hohen Energie, geht mit Schweineorgel und unbremsbarer Trommelattacke sofort ins Ohr und will dann nicht wieder raus und immer wieder durchs Ohrgebälk.
CDs, das wissen alle hörenden und sammelnden Rockmusiksüchtigen (und die süchtigen Sammler in ihren vielen anderen Schubladen gewiss wohl ebenso), machen keinen Sinn, wenn sie stets gut abgestaubt im Regal gesammelt und mit Liebe gewartet werden. Ab und zu müssen sie wie der vierbeinige Kinderersatz raus und das Wohnzimmer durchtreten. Die Welt ist voll von Rock'n'Roll und Dingens, die sich dafür halten. Dies hier ist die Welt!
Wer Spaß an harter Musik hat, knackfrische Kurzweil und technisch versierten Krach ohne besondere Kunstattitüde liebt, und mit diversen verblüffenden Überraschungsmomenten gern überschüttet wird, sollte sich unbedingt den Titel dieses vitalen Werkes merken. Leider ist die CD nur 42 Minuten lang und ja, die sanft dahin ziehende Melancholiewolke "Suite Modale", übrigens von Ernest Bloch komponiert, nicht mal drei Minuten. Die Stimmung ist erstklassig, diese leise, verweht schwache Note hat Herz und Hirn.
Nun dauert es noch ein halbes Jahr, bis Gilbert & Co. durch europäische Lande ziehen werden. Hoffentlich lebe ich dann noch. Tipp!

paulgilbert.com
mascotrecords.com
VM



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