Gavin Harrison "Cheating the Polygraph" (kscope 2015)


Gavin Harrison, 1963 geboren und seit 1979 professioneller Rock-Schlagzeuger, arbeitete seit 2002 mit Porcupine Tree (für die eventuelle Neubelebung seit Jahren tiefengefrostet) und ist (seit 2008) Teil des Schlagzeug-Trios im aktuellen King Crimson Line-Up. Zu seinem Œuvre gehören Rock-, Pop- und Progressive Rock-Alben, zwei Schlagzeuglehrbücher und Schlagzeuglehrvideos auf DVD. Seit spätestens 1986 ist er als Session-Schlagzeuger auf vielen Rock- und Pop-Produktionen zu hören. 2007 wurde Harrison von der ‚Modern Drummer' Zeitschrift zum ‚best progressive drummer of the year' gekürt, in den Jahren 2008 bis 2010 wurde ihm dieser Titel erneut verliehen.
"Cheating the Polygraph" macht ein neues Genre auf, Big Band Jazz. Gavin Harrison kommt ursprünglich vom Jazz. Sein Vater ist selbst professioneller Jazzmusiker, der seinen Filius frühzeitig mit Jazz infiltrierte. Sohn Gavin spielte bereits als Sechsjähriger mit Hi-Hats, mit 11 Jahren verfügte er über sein erstes Schlagzeugset.
Für "Cheating the Polygraph" schrieb GH zusammen mit dem Bassisten Laurence Cottle seine persönlichen Lieblingstracks, acht Stück an der Zahl (plus Motiven aus weiteren Songs), von Porcupine Tree um. Dabei sind die Originale kaum wiederzuerkennen, lediglich an der Basiskomposition, die nur partiell angespielt sind, ist (für den kundigen Fan) zu erkennen, welcher Song gerade zu hören ist.
Von Beginn bis Ende des Albums ist (für Außenstehende) nicht zu erkennen, dass hier Rocksongs umgearbeitet wurden. Der klassische Big Band Sound hat gewiss moderne Bezüge, vor allem in GHs lebhaft komplexem, rocktypischen Schlagzeugspiel. Doch die luftig virtuosen Bläserarrangements sind rundum überzeugend, von dichtem, raffiniert rasantem Arrangement, die Einspielung ist professionell und ganz und gar satter, vitaler Big Band Jazz. Überraschend mag es kommen, dass GH das Big Band Genre aussuchte, seine Lieblingssongs seiner Band zu interpretieren. Doch zugleich ist die Auswahl fast logisch. Zum einen ist Jazz (allgemein) aktuell im Aufwind, zum anderen führt Big Band Jazz fast ein Nischendasein, selbst innerhalb des Jazz gibt es aktuell wenig Big Band Sound. So dass GH, mit seinem Namen und diesen Songs, ein eindrucksvolles Statement abgeben kann. Das sind seine Wurzeln, aktiv und lebendig, und das ist seine Aussage: kein leichter Easy Listening Jazz, sondern vitaler, energisch virtuoser Big Band Jazz, dessen Arrangements oftmals wie zu Hochzeiten des Genres bis in die 1980er Jahre hinein klingen, sich nicht an Trends anlehnen, sondern kraftvoll und selbstbewusst eigene Markenzeichen setzen.
Die Spielzeit von 49:08 Minuten, gefühlt weitaus kürzer, birgt pausenlos hinreißende Musik. Da ist keine Orientierung zum Mainstream wie im frühen Orchester-Jazz, kein Fusion wie in einer der Hochzeiten Mitte der 1970er, kein Free Jazz wie bei Sun Ra oder Chris McGregor, eher eine Neuauflage in der Art des Raffiniertesten aller Big Band Arrangeure: Woody Herman (in kleinerer, moderner Besetzung).
Das Album wird auf CD + DVD (Surround DTS, Dolby Digital 5.1) samt schickem Booklet angeboten.
Möchte ich unbedingt empfehlen!

kscopemusic.com
VM



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