French TV "The Case Against Art" (Pretentious Dinosaur Records 2001)

French TV waren bisher immer für Überraschungen gut. Aber so gelungen wie Album Nr. 7 ist ihnen vorher noch keines. Von der ersten bis zur letzten Minute ist dieses überaus humorvolle, witzige, vor Charme sprühende Album eine Ohrenfreude ganz exquisiter Art. (Das muss ich sagen, die Band bezahlt mich dafür.) Längst ist nicht alles nur schräg, heftig oder abstrakt - erstaunlicher Weise gibt es eine Fülle melodischer, harmonischer Finessen zu hören - die natürlich von einer ausgekochten Mannschaft disharmonischer, genüsslich inszenierter Virtuositäten umspielt werden. Der Opener "That Thing On The Wall" ist eine wilde, freche und fabelhaft künstlerische Aussage zum Thema Gentle Giant, das sich in einem schier wahnsinnig werdenden Poltergeist der humorig hüpfenden Noten zu elegischer Schwere melancholisch senkt, um hauchdünn und zart über den Boden der Ohren zu schweben; eine Symphonie, betäubend für die Sinne und befreiend für die Ohren. Das Stück scheint zu schreien: genug der alltäglichen und hinlänglich bekannten Strukturen, die den Progressive Rock zukleistern! Dazu bedarf es keiner aus dem Ruder gelaufenen Free Rock Passagen, sondern nachvollziehbarer, klarer Strukturen, strikt komponiert und mit Charme und Verve gespielt. Das folgende "Viable Tissue Matter" ist ein symphonisches Stück, das episch ausgerichtet leise beginnt und sich jazzverliebt kraftvoll entfaltet, dabei aber nicht in schräge Gefilde abdriftet, sondern melodisch und erstaunlich gezügelt zu Werke geht. "Partly This State" wiederum ist von dem hintersinnig-virtuosen Schalk bestimmt, der schon den Opener so ausgezeichnet geraten ließ. Hier fügen sich die Strukturen wieder symphonischer; erstaunlich, wie dicht an den Klassikern der 70er gebaut wird, ohne einer Band, einer Vorstellung von bereits vorhandener Musik zu nahe zu kommen. Und siehe da, es gibt Gesang. Die beiden ersten Songs waren rein instrumental und ließen in ihrer vielschichtigen und wahrhaft komplexen Struktur keinen Gesang vermissen, aber wie "Partly The State" plötzlich diese bildhübsche Gesangslinie entfaltet, mit einem leicht verhallten Flötenton im Off, das hat einfach unglaublich hinreißenden Charme. "One Humiliating Incident After Another" schließlich hat eine etwas freiere Struktur, die kühlen Jazz ebenso wie zeitgenössisch ernste Figuren einbezieht - nur um daraus einen abgedrehten und urkomischen Rock zu machen, der progressiver, komplizierter, anspruchsvoller (gehen mir denn nie die Worte aus) nicht sein könnte. Zumal sich kleine Folklore-Splitter aus dem fernen Russland und dem Balkan mit nettem Ausdruck in den Song verirrt haben, die das ganze noch weitläufiger und interessanter machen. Der letzte Song (vergaß ich zu erwähnen, das zwei Songs knapp unter und die drei anderen reichlich über 10 Minuten lang sind?) "Under The Big ´W´" läßt eine junge Dame mit reichlich Hall in der Stimme auf deutsch erzählen - was nicht so recht zu verstehen ist, was zum einen an der amerikanischen Aussprache und zum anderen an der Lautstärke der agierenden Instrumente drumherum (schönes Wort, nicht?) liegt. Der leicht nach Polka riechende Song ist eine aberwitzige und urkomische Variante schrägster Vorstellungen harmonischen Symphonic Rocks. Nach dem Genuss von "The Case Against Art" frage ich mich, ob ich jemals zuvor eine so angenehme, kurzweilige, komische und dabei so anspruchsvolle und interessante Platte gehört habe. Ich will nicht zuviel verraten, soviel sei jedoch gesagt (und wer nur irgend ein Interesse an progressiver Rockmusik hat, sollte diesen Tipp nicht missachten): die 7. von French TV ist Pflichtprogramm. (Das muss ich sagen, die Band bezahlt mich dafür.) Die Platte des Jahres! Nicht weniger.

VM



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