The Flower Kings "Paradox Hotel" (InsideOut Music, VÖ: 24.03.2006)

Da sind sie wieder einmal. Die neue CD der Flower Kings wird schon seit geraumer Zeit mit Kribbeln im Bauch erwartet. 1999 und 2005 waren seit 1994 die einzigen Jahre, in denen kein neues Album der Schweden um Roine Stolt (voc, g) veröffentlicht wurde. Wenn man das nur einmal mit den Klassikern der frühen 70er vergleicht, ist die Zeit von 12 Jahren seit "The Flower King" (1994) schon erheblich viel. Den Anfang der klassischen Phase auf 1968 datiert, wären 12 Jahre danach 1980 und so gut wie alle damaligen Bands waren aufgelöst oder längst im Popsumpf untergegangen. The Flower Kings haben heute noch diverse Facetten, die schon 1994 auf Roine Stolts erstem neuen Prog-Album zu hören waren.
Tomas Bodin (key, back-voc), Hasse Bruniusson (mar, perc), Hans Fröberg (voc, g) und Jonas Reingold (b, acc-g, voc) sind stetige Mitglieder, neu im Bunde (im Bezug auf Studioalben) ist Marcus Liliequist (dr, perc, back-voc), der den genialen Zoltan Csörsz ersetzt. Und da ist auch gleich eine Schwäche auszumachen: Marcus Liliequist ist technisch, keine Frage, ein sehr guter Schlagzeuger. Sein Spiel klingt dem seiner beiden Vorgänger und vor allem Jaime Salazars sehr ähnlich. Er bringt keine neuen Facetten ein und bleibt hinter dem verspielt-komplex arbeitenden Zoltan Csörsz deutlich zurück. Zudem, aber das ist wohl vom Chef so vorgegeben worden, spielt er in gewissen Überbrückungspassagen stetig die Bassdrum im 4/4-Takt, was banal und öde klingt und dem typisch komplexen Flower-Kings-Sound eine unschöne Bei-Note gibt. Zum Glück geschieht dies nur selten und roundabout kann man Marcus Liliequist gut akzeptieren, wenn ein feiner Trauerschleier wegen Zoltan auch bleibt.
"Paradox Hotel" ist mal wieder eine 2CD geworden, im LP-Zeitalter wären das 4 LPs gewesen, wie viele haben die Blumenkönige davon bisher veröffentlicht? Nach einem 1-minütigen ambienten Auftakt, den Tomas Bodin geschrieben hat, legt die Band gleich mit dem 20-minütigen "Monsters & Men" los. Ein typischer Flower-Kings-Longtrack, was die harmonischen Arrangements betrifft. Für Fans ein weiteres Leckerbissen.
Aber es gibt mittlerweile auch Prog-Freaks, die abwinken und meinen, Roine Stolt spiele immer wieder nur den gleichen Song auf verschiedene Art. Das ist natürlich reichlich böse. Die neuen Stücke, allen voran "Monsters & Men", das mir fast am besten von allen 19 Tracks gefällt, haben viele neue Facetten. So ist das komplette Album dieses Mal weniger komplex als jedes zuvor (was bei den genannten Prog-Fans einmal mehr sauer aufstößt). Nach "Unfold The Future" von 2002 haben die Flower Kings die Kurve gekratzt und sind auf Nummer sicher gegangen. Seitdem hat die komplexe Musiksprache stets ein Stück ihrer Komplexität verloren, die faszinierenden wilden und Jazzrock-Sachen sind fast komplett verschwunden und nur in wenigen Songs reduziert zu finden("Pioneers in Aviation", "The Unorthodox Dancinglesson"). Dennoch: die größten Erlebnisse sind und bleiben die emotionalen Gitarrensoli von Roine himself.
Eine neue Facette im Flower-Kings-Sound ist die zunehmende Zartheit und Stille der Songs. Keine CD vorher war so sanft und leise wie "Paradox Hotel". Gewiss kracht es immer noch laut und forsch. Doch die Melancholien und verspielten Sanftheiten nehmen zu. Das hat in manchen Songs grandiose Schönheit, so in "Jealousy", "Bavarian Skies", "Selfconsuming Fire", "Mommy Leave The Light On", "The Time The Waters Are Moving", "Blue Planet".
Der letzte Song der 1. CD, "End On A High Note", hat über Minuten diesen langweiligen Dauer-Basstrommel-Groove, zudem sehr süßliche Gesangsharmonien, was den 10-Minüter zu einem der unattraktivsten Songs der Produktion macht. Für mich ganz persönlich ist Hans Fröberg in der Band fehl am Platz. Sein zartes Powerpop-Stimmchen trägt erheblich zum vordergründigen Popfeeling bei, zum Glück singt Roine Stolt wenigstens ebensoviel wie Fröberg. Doch auch das schrammelige Gitarrenspiel Fröbergs passt eher zu radiokompatiblem Poprock und kann mich ganz und gar nicht überzeugen. Im die zweite CD eröffnenden 12-Minüter "Minor Giants Steps", der eigentlich schön kraftvoll und komplex ist, ist sein Gesangsstil eher leidiges Beiwerk. Die Stimme von Roine in ihrer Brüchigkeit und dunklen Note hat viel mehr Ausdruckskraft und nicht diese Lass-mich-das-jetzt-mal-in-Ordnung-bringen-Überheblichkeit im Gesang Fröbergs.
Tomas Bodin bringt sich verstärkt auch kompositorisch ein, wenn natürlich Roine Stolt die meiste Arbeit beiträgt. Ein gelungenes Psychedelic-Pop-Stück im Geiste der Labelkollegen Paatos ist Bodins "Touch My Heaven". Raffinierte Harmonien, verschlungen düsterer Rhythmus, unheimliche Stimmung - der Song ist überaus gelungen, allerdings würde er eher auf ein Tomas-Bodin-Soloalbum passen, als auf "Paradox Hotel". Dafür gibt es im Anschluss das neben "Monsters Men" beste Stück der 2CD zu hören: "The Unorthodox Dancinglesson". Hasse Bruniusson, immer etwas unterbeschäftigt bei den Flower Kings, kommt hier endlich mal gut zur Geltung.
Überhaupt ist das witzige, erfrischend schräge und rhythmisch verflixt komplizierte Stück einfach nur grandios. Fünf abgefahren verrückte und schräge Minuten Progressive Rock, wie ihn die Fraktion der ausgefallenen Töne liebt. Perfektes Teil!
Hans Fröbergs "Life Will Kill You" passt ganz zum Autor, sein Gesang ist der absolute Mittelpunkt, nichts geht ohne seine Stimme. Etwas zu simpel, das Ganze. Gruselig schön im Gegenteil dazu "What If God Is Alone", das Reingold, Stolt und Fröberg komponiert haben. Die Songs dazwischen sind hinreißende Rocker, wie sie die Flower Kings so lässig zu geben vermögen. Jonas Reingold bringt häufig die notwendige Portion Jazz ein, Tomas Bodin die verwegenen Harmoniewechsel und Roine Stolt die wunderbaren Gitarrensoli.
Schön, dass sie wieder ein neues Album eingespielt haben. Irgendwie hat sich die Band im Laufe der Jahre zu einer festen Bank entwickelt. Das liest sich auch in den Einflüssen nachwachsender Bands, die YES, Genesis und The Flower Kings, als wäre es das natürlichste der Welt, nebeneinander als direkte Einflüsse angeben. Viel Licht bringt dunklen Schatten. Doch wie immer ist dieses Licht von überwältigender Helligkeit.

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VM



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