Fire! "She Sleeps, She Sleeps" (rune grammofon, 05.02.2016)


Außer einem. rune grammofon.
"She Sleeps, She Sleeps" und das exzellent verrückte Fire! - Trio beweisen, bei aller stilitischen und handwerklichen Unterschiedlichkeit - eine konkrete Parallele zu John Coltranes "Love Supreme". John Coltranes Musik ist ein Gebet, und ebenso Mantra-artig arbeiten Mats Gustafsson (ts, bar-s, bs, The Thing), Johan Bertling (b, Tape) und Andreas Werliin (dr, lap steel g, Wildbirds & Peacedrums) auf ihrem neuen Werk.
Die vier bombastisch großartigen Tracks, die ersten wieder heruntergefahrenen gemeinsamen Arbeiten nach ausführlicher Tour mit dem Fire! Orchestra (das gerade von 30 auf 18 Mitgliedern geschrumpft ist - und nebenbei weiter arbeitet, in 2016 wird eine neue Arbeit veröffentlicht), zeigen den aktuellen Status des Trios, ohne Orchester. Mit akustischen Instrumenten und der Idee, rau, direkt, radikal und - wunderbar zu arbeiten.
Auf 44:09 Minuten bringt es das rein instrumentale Album, das mit zwei hier und da auftretenden Gästen eingespielt wurde: Oren Ambarchi (g, der schon für "In The Mouth A Hand" 2012 dabei war) und Leo Svensson (ce), die an den Bandsessions nicht teilnahmen, ihre Beiträge allein einspielten, zusandten, und die daraufhin eingemixt wurden.
Das Fire! - Trio komponierte die Tracks gemeinsam. Das Ergebnis ist ein ungemein organisches, in sich pulsierendes, radikal emotionales, kühl bebendes und hinreißend intensives Erlebnis. Dies stilistisch annähernd zu lokalisieren, braucht es ebenso anarchisch eigenständigen Sinn, wie das Basteln der Ideen selbst. Free Jazz, Psychedelic Rock, Doom und Noise treffen aufeinander, wobei der lasziv düstere skandinavische Faktor auf sehr, auch für skandinavische Verhältnisse ‚eigenartige' Weise seine Vitamine streut.
Opener "She Owned His Voice" setzt auf den qua buddhistischen Grundrhythmus eines großen Gongs, worauf das pulsierend lebhafte, indes wie gedeckelt schwermütige, radikal berstende Spiel des Trios seinen Herzschlag findet. Genial! So voll Jazz & Rock sind, so viele Möglichkeiten finden sich für kreative Geister. Berthling und Werliin bauen dieses eigenartige, krumme Rhythmusbeben, kaum wild und verrückt notenintensiv, eher zurückgenommen und doch volle Kanone, während Gustafsson seine Saxophone mit langem Atem beschießt und das Dröhnen und Kreischen in ganznotenstarke Kratzdimensionen treibt. In aller Lautstärke ist dies sehr still, in aller Aufgeregtheit sehr ruhig, in aller Erregung erstaunlich nüchtern, in aller Radikalität verflixt konzentriert, in aller Härte sehr sanft.
Der Titelsong als zweiter Track läuft etwa 14 Minuten. Rhythmus: fast verspielt, episch und vieldimensional, nicht auf posend kraftvoll gedopt, sondern verträumt und gar zart. Gustafsson sprüht und birst darüber hinweg, als würde ein Wissenschaftler einen Sturm entfachen und in allen Facetten kontrollieren. Freaks, sage ich. Freaks!
Geniale Freaks.
So um 4 Minuten läuft "She Bid A Meaningless Farewell". Fast ein Schlagzeugsolo, ist nun das Saxophon Teil der Rhythmusmaschine. Nie war Bass schwerer und freejazziger. Denn natürlich bleibt es nicht beim Rhyhtmus. Und das Trio hebt an und lässt die vielleicht seltsamste Nummer des Albums maschinenartig arbeiten. Schräg, originell, hinreißend!
Und dann nach dem 1. Track das zweite Mantra. "She Penetrates The Distant Silence. Slowly". 18 Minuten epische Radikalintensität auf ambient noisige Free Jazz - Rockart. Zuerst ist der gezupfte Akustikbass Zentrum des Geschehens. Dann alle drei Instrumente, samt Cellogast.
Die Band scheint kaum etwas über das rudimentär basische Geschehen zu unternehmen, auf den ersten Höreindruck. Dass da mehr ist, macht sich erst nach einer Weile auf. Und will dann nicht mehr davon lassen.
Avantprog-Erfahrene werden sich über diese erlesen kunstvolle Arbeit freuen. Hier werden Grenzen in allen möglichen und unmöglichen Richtungen überschritten, als sei dies ganz und gar natürlich und nicht anders möglich. Wie leicht & schwer zugleich, komponiert & free zugleich, still & ausgeflippt zugleich diese Arbeit klingt, muss nur unbedingt erfahren sein.
Erneut legen Fire! ein geniales, großartig berstendes Album vor, das absolut zum Kanon der verrückten Klänge gehört und für das Überdauern der Zeiten gemacht ist.

runegrammofon.com
earthwindand.com
VM



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