Effloresce "Coma Ghosts" (Generation Prog Records, 10.02.2012)

Der Name des Labels sagt es bereits: Generation Prog - Prog ist 'in' und zeigt starken Einfluss auf die aktuelle populäre Musik. Würden Effloresce 1993 Prog gemacht haben? Nein. Vermutlich eher Gothic oder Thrash. Aber so, wie sich die eine Spielart im Laufe der Jahre, Bands und Alben abarbeitet und alt wird, Einfluss verliert und schwindet, wächst die andere heran und zieht peu á peu Musiker in ihren Bann. Nicht anders war das in den 1970ern, als Zigtausende Musikfans Progressive Rock hörten und verstanden, der heute, wie etwa im Fall von King Crimson, als Avantgarde wahrgenommen wird. Zumindest im Vergleich zu vielen aktuellen Bands und Alben, die im Prog-Genre aktiv sind. Metallische Rockhärte, Produktion und handwerkliche Finesse weggehört, sind Effloresce kompositorisch Melodic Rocker, deren Songs per se nicht komplex sind. Was sie aus den eher schlichten Kompositionen holen, wie sie schwer tiefe und laute Riffs unterheben, Intermezzi einfügen, heftig-komplexes Getrommel unterlegen und längere Instrumentalfahrten unternehmen, macht Prog Metal draus. Die Dame am Mikrophon hat eine dieser sanften Engelsstimmen, die gedoppelt mit ihrer eigenen, tiefer gelegten Spur mystisch und - in aller Lieblichkeit - düster und (ein bisschen) gefährlich wirkt. Während die Jungs wie verrückte Wilde extreme technische Mätzchen auffahren, die durchaus Spaß machen und unterhalten, und nach Ende des einen Motivs in ein anderes fließen, das entweder wieder eine neue Instrumentalebene aufmacht oder mental in den Gesang führt - und alle Beteiligten machen ihre Sache sehr gut - ist der Gesangsbeitrag die Mainstream-Komponente, die den starken Sound gefällig und eingängig macht und in manchen Songs fast zu ‚hartem' Schlager mutiert, etwa im 10:34 Minuten langen "Zoryas Dawn" als zweitem Track auf der CD. Ist schon lustig, egal, wie laut und schwer die Band rockt und sich am Gewittersound abarbeitet, nie erscheint auch nur ein Moment wirklich bretthart. Meine 83-jährige Mutter (zu Besuch) fragt nicht nach, was das schon wieder für ein Lärm ist, und spricht nur lauter. Bis Nicki in dämonenhafte Growls verfällt. Aber gleich danach ist der Engel wieder am Mikrophon, die 83 Jahre winken ab und begeben sich in einen der Räume, wo mehr Leute sich aufhalten als in der Krachkammer.
Sprich: Effloresce haben Idee und ihr Handwerk gelernt, macht Laune, "Coma Ghosts" zuzuhören. Ganz persönlich: ohne Gesang und weitaus wilder, schräger und expressiver mit dramatisch abstrakten Chaos-Intermezzi machte der laute Sound mir viel mehr Spaß. Und das Mädchen, mhm, kann die vielleicht Vibraphon spielen? So, auf Mainstream peilend, sind Band und CD nicht meine Kragenweite.

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VM




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