Willy DeVille "Pistola" (Eagle Rock, VÖ: 15.02.2008)

Wenn das Wort ‚fett' durch Körperuntugenden der zu gut ernährten abendländischen Gesellschaft nicht zum Unwort geworden wäre, müsste man es nutzen, um den Wert dieser Platte zu schätzen. ‚Fett' wäre da vermutlich noch zu wenig, um den wahren Wert auszudrücken, müsste die rechtschreibliche Variante ‚phat' genommen werden, um gleich die lebensfrohe Eigenart dieser satten Töne abzuchecken. "Phat!"
Willy DeVille steht neben Bob Dylan, Robbie Robertson und Van Morrison im Buch der ganz persönlichen Songwriter, deren Stil ungemein von ihrer Stimme, ihrem Songwriting, ihrem Leben und ihrem Aussehen geprägt ist. Sie brauchen keine Einflüsse von außen, wenn sie die auch nutzen. Alles in ihren Händen, mit ihren Stimmen wird lebendig, ihrem komponierenden Handwerk wird grandioser Sound, wird zum lebendigen Song.
"Pistola" ist ein zum Heulen schönes Album. Rock, Soul, Rhythm'n'Blues, Blues, Jazz, Country und Cajun gehen in den verschiedensten Varianten Verbindungen ein, lassen die 10 Songperlen wie mystische Tänze klingen, wie Beschwörungsformeln für ein besseres Leben. Selbst Streicherelogen wie in "I Remember The First Time" sind fern jeglicher Idee von Kitsch, nichts an dem Song ist Kitsch. Keiner der Songs hat auch nur die Ahnung von Kitsch, alles ist Kunst, wundervolle, pralle, lebensfrohe Musikkunst, virtuose, auf genialem Rhythmus lässig voran getanzte, von traumhaften Harmonien und Cocktail-gekühlten Arrangements schwebende Elefantenrhythmen. Schwer wie nur Rock sein kann, leicht, wie es nur diese ganz besondere Art Songs sind.
Hört Euch nur "Been There Done That" an, diese schwerelos brachiale, von Rare Earth beeinflusste Note. Da hört man die Bretter knarren, auf der die Band spielt, in der letzten Bierbude vor dem großen Sumpf, und die Typen, die sich dazu bewegen, sehen mehr als gefährlich aus. "Louise" ist eine dieser Balladen, die die Süße der Melancholie groß auskosten, akustische und Slidegitarre, Piano, akustischer Bass und eine schmale Schlagzeugausgabe reichen dazu, und sicher, DeVilles Stimme. Der Song ist, wie alle anderen, keine großartige Kompositionskunst, das ist Willy DeVille fremd und fern. Diese Songs sind leicht und eingängig, ungemein locker und, ja, beschwingt. Diese Lieder passen in jede Stimmung, in aufgeregte Momente, wenn eine wilde Party ansteht und es gleich losgeht; oder wenn ein grauer Misttag sich über die Schwere des Lebens legt.
"The Band Played On" schließlich, irgendwie der Höhepunkt dieser reichen Musik, das virtuose Zentrum, ist New Orleans gewidmet. Ein schwerfälliger Rhythmus wird von einem Trauerzug an Bläsern angetrieben. Wie Albert Ayler im Freejazz, so Willy DeVille im Blues. Vielleicht ist die Intensität hier am höchsten, am dichtesten, am kompaktesten und wildesten. Kein Ton ist perfekt, das ist der Klang des vollen, trunkenen Lebens, des Lebens da unten, fern des Reichtums, fern von Glanz und Glamour. Das sagen diese Background-Stimmen, die den Refrain mehr trostlos vor sich hinstolpern lassen, als dass sie ihn singen. Dieser Song wird ganz groß gefeiert, und die Feier ist ein trotziger Marsch. Gleich darauf wird mit "You Got The World In Your Hand" wieder Mut gemacht. "Stars That Speak" ist ein starkes, leises Liebeslied, "The Mountains of Manhattan" hat wieder diese Beschwörungsnote, als würde ein Indianerstamm die Nacht seines Lebens zelebrieren. Dazu reicht Willy DeVilles Stimme, eine Holzflöte und rudimentäre Perkussion.
Kein Ton zuviel, keiner zuwenig. "Pistola" ist ein spirituelles Album. Vielleicht ist gerade an Musik wie dieser zu ermessen, dass wir Planetarier auf Erden nicht wirklich ohne künstlerischen Ausdruck leben können. Nicht ohne unseren eigenen, egal wie klein und unbedeutend er sein mag, nicht ohne den anderer. Willy DeVille ist ein ganz großer. Und so lächelt er versonnen und selbstbewusst und weiß von der innigen Qualität seiner Musik.

VM



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