Deep Purple "Live - Space Truckin' Round The World 1968 - 76" (Purple Records 2009)

Auf Purple Records sind in den letzten Jahren etliche Livealben veröffentlicht worden, aus allen frühen Phasen, von Mark I bis IV, mit sehr unterschiedlicher Klangqualität, angekündigt ist für 2010 ein Buch namens "Fire in the Sky", die Story ihres Hits "Smoke on the water". Der ist hier (erstaunlicher Weise) nicht zu hören, dafür 15 andere große Hits der wohl weltweit bekanntesten Hardrocker. Ein Livealbum wie dieses, das alle frühen Jahre abdeckt, sollte eigentlich ein Lockmittel für Unentschlossene sein, sich den Hardrockern, die live stets mit Klassik, Jazz und Blues gespielt haben, zu widmen. Ein Querschnitt, der die besten Tracks in erstklassiger Soundqualität anbietet. Nun, das mit den besten Songs stimmt schon, irgendwie. Die Soundqualität hingegen ist überwiegend völlig miserabel. Nicht nur die der frühen Aufzeichnung aus dem Jahr 1968, auch die von und bis 1975.
Und doch gibt es keine Resteverwertung. Das wäre nicht angezeigt, die Band hätte solche Aufnahmen besser ins Archiv verbannen sollen, wo gewiss noch unzählige Bänder lagern. Personell ist alles dabei, was von 1968 bis 1976 in der Band gewesen war, zu Beginn Rod Evans und Nick Simper, zuletzt Tommy Bolin, und natürlich die sonstige bekannte Crew.
Neben dem schlechten Sound, dem das Remastering immer noch viele erhebliche Defizite gelassen hat - wie mögen die Aufzeichnungen nur vordem geklungen haben? - sind vor allem wenig schlimme Verspieler zu hören, die hinnehmbar sind, aber auch peinlich quälende Sangesunfälle, vor allem von Rod Evans. Und das geht ins Mark. Da er nicht so viel zu singen hat und nur für drei Tracks dabei ist, ist das Schlimmste schnell überstanden.
Keine Resteverwertung, denn: in den meisten Songs geht es instrumental heftig ab. "Hush", "River Deep Mountain High" und "Hey Joe" haben nur kurze Hinhör-Gitarrensoli, das folgende, weit über 18 Minuten lange "Wring That Neck" ist der erste Hammer. Jon Lord hat mindestens 10 Minuten Zeit für ein schräges, wildes Solo, in dem er Klassik, Jazz und atonale Bluesfetzen mal klamaukartig, dann heavy durch seine Orgel jagt. Die Aachener Konzertbesucher hatten 1970 (genauere Daten sind im Booklet angegeben) gut was auf die Ohren bekommen. "Into The Fire" im gleichen Jahr in Stockholm gespielt lässt die "neue" Band noch etwas jünglingshaft erscheinen, nicht nur im Sound. Ian Gillan macht eine blendende Figur, was den Track adelt. Im Anschluss geht es noch einmal ein Jahr zurück. Der Sound im 22-minütigen "Mandrake Root" ist zu ertragen, zuletzt gar nicht mehr als unangenehm zu hören, weil die Band wieder einmal improvisativ und solistisch alles gibt. Das auf dem Jazz Festival in Montreux (wo die Band bis heute beliebt ist) mitgeschnittene Stück hat den jugendlichen Ian Gillan am Mikrophon, der wie seine Mitarbeiter Rotz und Wasser rausholt und zuletzt wie eine leere Hülle gewesen sein muss. Deep Purple halten nicht hinter dem Berg, auf dem monotonen Bassmotiv toben sich vor allem Jon Lord und Ritchie Blackmore ausgiebig solistisch aus.
CD2 beginnt mit einem 9:32 Minuten kurzen "Child in Time", fürs Fernsehen eingespielt, der Sound ist OK, die Band geht nicht ganz hart zur Sache, selbst Ritchie Blackmore, in aller Mordsgeschwindigkeit, ist eher nachlässig. "Lazy" und "Strange Kind Of Woman" 1972 in Dänemark aufgenommen, sind voll gepumpt mit Soli, schön lang und hart. Die Band war auf ihrem Höhepunkt, Lord und Blackmore geben sich die Ehre, fallen sich solistisch ins Zeug, ‚Made in Japan' ist rauszuhören. Diese drei Songs haben den besten Sound aller hier gesammelten Aufnahmen.
Im Anschluss gibt es einen Zeitsprung nach 1974. "Burn" und "Mistreated" klingen, als wären sie von einer anderen Band eingespielt worden. Blues und Jazz haben sich verloren, die Band rockt moderner, härter, schlichter. Die folgenden 6 Songs sind funky und haben längst nicht mehr die langen Solostrecken. Mit der Ausnahme von "Mistreated", das über 12 Minuten in schwerem Blues schwelgt und David Coverdales Stimmbänder nach der Anstrengung zum Durchbaumeln brachte. Wahrscheinlich.
Die letzten 4 Songs sind 1975 mitgeschnitten worden, zwei in Paris, die beiden abschließenden in Tokio. "The Gypsy" und "Lady Double Dealer", "Wild Dogs" und "Love Child" mit Tommy Bolin an der Gitarre zeigen eine ganz andere Band. Der Hardrock war schlicht und einfach geworden, hatte mehr Soul und Funk im Blut als Blues und Jazz, es gibt keine ausgedehnten Soli zu hören und doch haben die Songs Intensität. Bolin macht nach dem ausgeleierten Ritchie Blackmore eine gute Figur. Was er zu kurz beweisen konnte, R.I.P. Die beiden letzten Songs sind Mainstream und haben doch hier und da kleine Extravaganzen, wilde Basspartien, Sängergeschrei und Gitarrensoli. Und dann war der Ofen aus.

deep-purple.net
VM



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