Fusion For Miles "A Guitar Tribute - A Bitchin' Brew" (Shrapnel/Mascot Records 2005)

Jazzfusion und Jazzrock sind lange Zeit nur als Schimpfwörter benutzt worden, verächtlich und gehässig betrachtet, übten die einst grandios gefeierten Zwillingsstile ein Schattendasein, nachdem seit Ende der 1960er Jahre die besten Jazz- und Rockmusiker daraus fabelhafte Songs und Alben gezogen hatten und dafür geliebt worden waren. Spätestens seit Beginn der 80er Jahre veränderten die einst radikalen Stile ihren Ausdruck zum gemächlichen Funk, zum tanzbaren Schlager, zu inhaltslosem Kitsch. Ausnahmen bestätigen das nur.
Doch seit Anfang der 90er, als die großen Klassiker auf CD neu aufgelegt wurden und junge Bands sich im Jazzrock erprobten, begann Jazzfusion ebenso wie sein härterer, abstrakterer und komplexerer Bruder Jazzrock, was sich heute zum Jazzprog ("Frickelrock") verkompliziert hat, langsam aber stetig an Ansehen zurückgewinnen.
Und wenn heute auch viele Musiker, oftmals die alten wieder, Jazzfusion frönen, so ist doch nichts wie damals. Einst verbanden sich die kompositorische Radikalität und die impulsive Improvisationslust des Jazz mit der Härte und Wildheit der Rockmusik. Daraus wurde oftmals grandiose Spannung geboren, die vor allem beim Mahavishnu Orchestra unübertrefflich heavy und ausdrucksstark war.
Heute, nachdem in der großen Zeit tausende Akkorde gespielt und unendlich viele harmonische und melodische Motive probiert worden waren, verbinden sich im Jazzfusion nicht die radikalen Seiten von Rock und Jazz, sondern gewachsene, ästhetisierte Formen. Die Dynamik des Rock und die kühle Melodiesprache des Jazz finden in harmonisierten Formen zueinander.
Technisch ist das perfekt interpretiert, die Voraussetzungen der Musiker und des Studios bei "Fusion For Miles" sind vom Feinsten. Jedoch, hier wird nicht gerockt, sondern ein elektrischer Jazz gespielt, der nicht vor den Kopf stößt, nicht weh tut, keine intensiven Leidenschaften weckt, sondern mit seiner Pracht ergötzt und, wie das Cover, sich auf ästhetische Muster besinnt und diese nachvollzieht.
Und dennoch - "Fusion For Miles", mit Untertitel "A Bitchin' Brew" betitelt, damit die Identifizierung, wie das Wort Fusion gemeint sei, erleichtert wird, ist eine beeindruckende CD. Das Gros der Songs ist von Miles Davis komponiert worden, ein Song stammt von Wayne Shorter, einer von Ron Carter/Miles Davis. Doch die Songs selbst sind nur rudimentär wieder zu erkennen. Das Cover und ein weiterer Untertitel sagen es bereits, statt Davis' Trompete sind Gitarren zu hören. Diverse Gitarristen aus Jazz und Rock ziehen Miles' mystisches Spiel und Intention mit eigener Note nach. Und nicht ein Gitarrist klingt wie der andere. Jeder der Musiker hat eine besondere Note, seinen eigenen Klang, seine eigene Technik, und unverwechselbares Gespür für Improvisation und Melodie.
Allein schon die in allen Songs zu hörende Band ist topp besetzt: Vinnie Colaiuta (dr, einst bei Frank Zappa), Alphonso Johnson (b), Larry Goldings (key), Jeff Richman (g) und Dave Liebman (saxes, einst in Miles Davis Band) sind aus anderen Projekten und Bands bekannt, haben unter eigenem Namen erfolgreiche Alben veröffentlicht und arbeiten hier gemeinsam sehr gekonnt die Harmonien der elektrischen Jazzstrukturen aus. In jedem einzelnen Song gibt es einen Solisten, der die melodische Führung übernimmt und ausreichend Raum für ausgedehnte Improvisationen bekommt.
Jimmy Herring, Jeff Richman, Eric Johnson und Warren Haynes sind eher die Rocker; Mike Stern, Bill Connors, Pat Martino, Steve Kimmock und Bireli Lagrene sind die Jazzhasen und Bill Frisell der Blues Avantgardist. Das Geschehen in den Songs ist sehr virtuos. Die Songs scheinen geradezu zu schweben, werden vom Jazzrhythmus angehoben und federnd in der Weite gehalten, auf dem die Melodieband phantastisch pulsierende Strukturen schafft. Nicht nur die Soli der Gitarristen sind die Erwähnung wert, auch das Spiel von Dave Liebman ist herausragend. Seine sporadisch einfließenden Soli geben den Songs einmal mehr ein Jazzdurchflutetes Gesicht und überzeugen in ihrer Klarheit und hingebungsvollen und verinnerlichten Melodiesprache. Ein Traum!
Die angesprochene Ästhetik der kompletten Produktion spricht wohl eher das Interesse der Jazzgemeinde an, wenn deren Interesse nicht bereits in der heute überwiegend produzierten Popsülze verloren gegangen ist. Unbedingt sei Gitarrenfreaks das Album ans Herz gelegt, die Soli sind eine herausfordernde Schule.

VM



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