Cuong Vu . Richard Karpen - Indigo Mist (RareNoiseRecords, 04.08.2014)


Cuong Vu (tr), Richard Karpen (p), Luke Berman (b) und Ted Poor (dr) haben sich für die 10 Songs auf "Indigo Mist" mit 4 Live Electronic iPad Performern (Ivan Arteaga, Shih-Wei Lo, Douglas Niemela, Joshua Parmenter) zusammengetan. Dem Labelnamen alle Ehre gebend, beginnt das eröffnende "L'Heure Bleue" mit einem deftigen Schlagzeugsolo, das noch im zweiten Stück, dem Titeltrack, nachhallt. Da sind längst die iPad Performer eingestiegen, verhallen die Schlagzeugsounds, schwere Düsternis legt sich leicht über das verebbende Solo, Richard Karpens Piano erklingt, zudem der elektrische Bass von Luke Berman, elektronische Sounds schleichen sich unterschwellig ein, die Trompete kratzt verhallt durch halb geöffnete und durchpustete Ventile, am Schlagzeug wird gespielt.
Nur dies nicht. "Indigo Mist" hat ätherischen, filmmusikartigen Charakter. Manches Motiv beginnt ambient, nach Struktur suchend, und wird im Anstieg der Kaskaden zu Noise, während alle Lyrik erhalten bleibt und ein Trompetenton vom Gipfel über das Getöse streicht. Unten zerhackt das Piano alle Ordnung, wummert der Bass und wirkt das Schlagzeug als Krachverstärker (ohne indes wahrhaft echten, guten Eindruck zu machen, sondern eher zerfahren, unruhig und eher seelenlos zu poltern).
Sobald Schlagzeuger Ted Poor zu echter Struktur findet, wird sein Spiel besser, ruhiger, komplexer, echter. Sein Terrain ist die unstrukturierte Noise-Kaskade wohl nicht. Er ist der Jazzer. Ebenso Cuong Vu, der über allem Gewitter steht und innerste Ruhe ausstrahlt. Und selbst wenn er an Miles Davis erinnert, ist er ein solcher nicht. Dazu fehlt Improvisationsabstraktion. Seine Stärke ist ambiente Sphärik, dahin gehauchte Melancholie, sehnsuchtsvolles Nachdenken, lyrische Impression.
Richard Karpen ist ganz in sich selbst. Seine chaotischen Parts haben Kraft und abstrakten Ausdruck. Seine Soli haben fast neutönerische Struktur und beweisen improvisatives Gespür. Luke Berman ist wohl am wenigsten offensichtlich zu hören. Sein - wichtiger - und gut gespielter Part beweist Jazzhandschrift. Er kann perfekt und unprätentiös das Piano wie das Schlagzeug begleiten, hat solistische Kraft und strotzt vor Ruhe, ohne sich zu sehr zurückzunehmen.
"Indigo Mist" ist am stärksten, wenn Struktur und Jazzbasis ausgebaut werden - da beweisen sich die Protagonisten als sicher und selbstbewusst. Sobald Chaos angestrebt wird, melodische Zusammenhänge sich verlieren und die Gruppenstruktur explodiert, nimmt die Kraft, nimmt der Ausdruck der Stücke ab. Und doch, der ‚Filmmusik-Jazz' (kein Jazz) kann sich hören lassen.
Ich sage: mehr Jazz, mehr Improvisation, mehr Lautstärke und Ausdrucksstärke in jedem einzelnen Moment. Weniger stilistisches Fokussieren und Stilsuchen. Macht das, was in euch steckt.

rarenoiserecords.com
VM



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