Coxhill/Miller "Miller/Coxhill" "The Story So Far…" /"…Oh Really?" (Cuneiform Records 2007)

Pianist Steve Miller und Saxophonist Lol Coxhill sind weit über die Canterbury-Szene hinaus bekannte Jazz-/Rockmusiker, deren Engagements in so verschiedene Ensembles wie Brotherhood of Breath und Alexis Korner, in der bekanntesten Formation Caravan und ihrer ersten gemeinsamen großen Band Delivery reichten, nachdem beide 1968 bereits in Steve Millers "Bruno's Blues Band" gemeinsam gespielt hatten - wo sie sich zum ersten Mal begegneten.
Steves Bruder Phil (g), der auf den beiden CDs dieser Zusammenstellung neben Pip Pyle (dr), Richard Sinclair (b), Roy Babbington (b) und einigen weiteren Canterbury-Namen partiell zu hören ist, hatte Hatfield and the North und National Health gegründet - aus der Asche seines Bruders Band Delivery, nachdem Steve und Lol Coxhill eben diese Band verlassen hatten.
Diese 2CD beinhaltet auf je einer CD die Alben Miller/Coxhill - Coxhill/Miller sowie "Story So Far…" / "…Oh Really?" neben weiterem Material, auf CD1 sind drei 1972 aufgenommene Konzertstücke von Delivery zu hören sowie 2 Solostücke von Steve Miller, mit zwei weiteren solchen beginnt CD2, nach der 2. LP das 23-minütige "Coo-Coo-Ka-Chew" mit Richard Sinclair am Bass und Laurie Allan am Schlagzeug. Aber der Reihe nach.
Die ersten drei Stücke der 1. CD sind unter Miller/Coxhill gelistet. Die ehemalige 1. LP-Seite, wie die zweite in den Jahren 1971/72 eingespielt und aufgenommen, hat in den letzten beiden Fällen Gäste dabei. Nach dem 9-minütigen "Chocolate Field", einer Duo-Improvisation, kommen im siebeneinhalb Minuten langen "One for You" Phil Miller, Sinclair und Pyle hinzu und zelebrieren den typischen komplexen Canterbury Prog, das dritte Stück mit Archie Legget (b) und Laurie Allan (cymb) ist eine faszinierende und relativ freie Jazz-Phrasierung.
Auch in den 5 Tracks der unter Coxhill/Miller gelisteten (wobei für beide LP-Seiten beide Musiker als Komponisten angegeben sind, Coxhill mehr für die 2. und Miller mehr für die 1. Seite komponiert hatte) Songs sind wieder die Gäste aktiv. Diese Songs sind weitaus experimenteller und freier in der Struktur und zeichnen sich durch grandiose, vitale Ideen und ziemlich verrückte Spielereien aus. Erstaunlich, zu welch avantgardistischer und dabei rockgeprägt freakiger Musik das Duo neigte. Selbst das balladeske "Gog Ma Gog" erfährt durch das elektrische Piano und die kunstvolle, harte Spielweise beider Instrumente, neben dem elektrischen Piano ein "billiges" Altsaxophon, eine herrlich schräge Rockprägung.
Die drei Delivery-Tracks im Anschluss sind mono aufgezeichnet worden, zeigen aber keine Klangverluste. Der 1972er Jazzrock ist, typisch Canterbury, intensiv, virtuos und komplex. Die sich anschließenden beiden elektrischen Solo-Piano-Stücke mit ihrem magisch melancholischen Feeling entfalten sofort ihre einnehmende, berückende Energie. Fabelhaft - und dabei von einiger herber, druckvoller Disharmonie!
Die zweite CD ist etwas länger als die 1. Nach zwei weiteren - akustischen - Pianoimprovisationen, deren stille Melancholie tief berührend ist, folgt "The Story So Far…" - die erste Seite der 2. LP. Die 6 Stücke, wie die weiteren 6 der 2. LP-Seite unter dem Titel "…Oh Really?" sind partiell wieder mit Gästen eingespielt worden. Die Ensemblestücke sind rockgeprägt, die Duoaufnahmen eher jazztrunken. Insgesamt ist diese, 1973/74 eingespielte und elektrischere LP weitaus melancholischer, entrückter und leiser als die erste. Die Ideen scheinen noch einen Tick intensiver, die Einspielung schräger, improvisativer und konzentrierter. Erst im 6. Track der LP kommt Lol Coxhill hinzu, während Steve Miller nicht in allen Tracks der 2. LP-Seite zu hören ist. Manche Idee der LP würde sich im Heavy Metal sehr gut machen, während andere im New Age, Jazz oder Folk funktionieren würden. Die populäre Möglichkeit der wohl komponierten Stücke findet in dieser Einspielung, in diesen Arrangements jedoch eine in Sachen Intensität, "schräger" Extravaganz und improvisativer Spiellust wohl kaum zu übertreffende künstlerische Leichtigkeit und Persönlichkeit.
Das abschließende 23-minütige "Coo-Coo-Ka-Chew", im Dezember 1974 mono in einem Konzert mitgeschnitten, erweist die Lust auf Intensität des Duos und seiner beiden Gäste Richard Sinclair (b) und Laurie Allan (dr) einmal mehr.
Die Gefühle schwanken hin und her, die Band schlägt tief in den Jazz aus, rührt düstere Melancholie auf, schwingt sich zu virtuoser Improvisation auf, rockt enorm und lässt sich Zeit. Vermutlich sind alle 28 Tracks der beiden CDs nur Variationen der musikalischen Erfindungslust Steve Millers und Lol Coxhills, die zwei Tage später eingespielt anders geklungen hätten. Die wunderbare Kraft dieser Stücke ist in jedem Fall stark ausgeprägt.
Canterbury-Fans, Jazzrock-Jüngern und Jazzfreaks der 70er sei das CD-Doppel unbedingt empfohlen.

cuneiformrecords.com
VM



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