Combat Astronomy
"Time Distort Nine" (Zond 12.10.2014)
"Flak Planet" (Zond 01.04.2011)
"Kundalini Apocalypse" (Zond 01.03.2013)


Wenn Univers Zero dem Ausdruck der abgründigen Finsternis in der Rockmusik die kammermusikalische, rockoppositionelle, abstrakte Sprache gab, so liefern Combat Astronomy die manische dazu.
Einst als Soloprojekt des Bassmonstermannes James Huggett (b, g) gestartet, der seinem Baby Combat Astronomy das Konzept und die Produktion gab, wuchs das Projekt mit Martin Archer (org, p, mel, saxes, etc) und jüngst Peter Fairclough (dr, perc) personell ebenso wie es qualitativ und stilistisch reife Entwicklungssprünge machte.
Über 2 CDs und 12 Tracks arbeitet das Trio samt den zwei Sängerinnen Kelli Denoyer und Julie Archer, die sporadisch (lautmalerisch oder mit Nonsense-Sprech-Gesang) auftreten, daran, einen wüsten, dramatischen Klang zu erfinden, der so noch nicht zu hören war, selbst wenn entfernte Vorbilder wie etwa Magma, oder Tankstellen wie Industrial Rock, Gothic, Noise, Punk, Free Jazz, Avant Prog und Elektronik in die Richtung weisen, die Combat Astronomy eigenständig ausführen und dabei nicht nur stilistisch quer denken und damit die Hörvorstellungen potentieller Zuhörer auf die Probe stellen, sondern so grandios eigenartig und freigeistig kreativ vorgehen, dass selbst geübten Avant-Hörern die Sinne überrascht schlackern.
Wichtigster Bestandteil der Kompositionen ist die extravagante, wahnsinnige, manisch wilde und nicht zu bremsende Bassarbeit James Huggetts. Zwar gibt es immer wieder auch Phasen, in denen der Bass schweigt beziehungsweise in esoterisch mäandernder Art sphärisch ambiente Schleifen zieht, von Martin Archers aus der Elektronik geschulten Tastenklänge begleitet - und allerhand abstrakten, mal zarten, mal ausgebrochen wilden Sounds, die hier von programmiertem Schlagzeug, dort von ‚echtem' Schlagzeugspiel angetrieben werden. Die programmierte Schlagzeugarbeit muss einen umfangreichen Haufen Arbeit bereitet haben, so progkomplex und differenziert über lange Strecken und in gutem Sound ist diese Rhythmusarbeit zu hören, dass es kaum einen Unterschied zum echten Schlagzeugspiel gibt, eher einen ästhetischen als einen technischen. Doch stets und in allem ist dieses druckvoll und nur manisch zu nennende Bassspiel Mittelpunkt allen Combat Astronomy Geschehens.
Auf CD1, 61:54 Minuten lang, sind 4 Songs enthalten. Das eröffnende, über 17 Minuten lange "Tenser Quadrant" schrieb Keyboarder Martin Archer, der diverse Instrumente und Sounds verwendet, wie sie im symphonischen Progressive Rock zu hören sind, etwa das Mellotron. Nach einem langen Tastenintro, das schon einmal wüste Spuren vorlegt, steigen nach etwa zwei Minuten Bass und Schlagzeug ein, woraus sich ein mahlender, fast minimalistischer Strom zäher Avantprog-Masse entwickelt, dessen stoisch pulsierende, extraharte Bassarbeit samt krass eingebrachter Bläsersätze für die feste, dichte Basisstruktur steht. Was sich daraus entwickelt, ist gewiss nichts für zarte Nerven. Ungeübte Hörer der wilden Prog-Schule werden gewiss vollständig abgeschreckt. Der Sound ist nichts für Anfänger, es sei denn, sie kommen aus einer Szene, in der Doom Metal und Free Jazz zu Vulkanbrocken verschweißt und in die Gegend geschleudert werden.
Doch schließlich bricht das Geschehen in elektronische Gefilde, und kann in gar ambiente Lyrik einbrechen, um nur gar in furioses Chaos zu bersten, und das überaus überzeugend!
"Unity Weapon" fährt die stoische Atmosphäre des ersten Tracks etwas zurück, baut auf latent schwebende, psychedelische Keyboardlyrik mit markanten Mustern und jazzdisharmonischen Stößen, die über die 21:32 Minuten immer wieder aufflackern. Es geht tief in elektronische Gefilde, wie ebenso in abgrundtief dramatischen Avantrock wie ihn die Belgier Present so fein zu zelebrieren wissen. Der Titeltrack, lausige 9 Minuten lang, donnert mit wahnsinnigem Bass, radikal komplexem Schlagzeugspiel und Keith Emerson-Fanfaren in seine monoton komplexe Zeit. Noch nicht wahnsinnig? Hört ihr nicht zu?!?
Das die erste CD abschließende 14:03 Minuten lange "Hypogeous" klingt sehr improvisativ, wie ein Traumklangbild, erst leise und entfernt baut es sich auf, dröhnt mit schweren Keyboardbässen, die lange auf der Stelle stehen, sich nur marginal verändern und entwickeln, schwerer und bedrohlicher werden, ohne den Avantrock zu Wort kommen zu lassen, der bislang die CD beherrschte. Welch schwerer Sound! Großartig und faszinierend - - -
Das war es aber noch nicht. Auf der zweiten CD, 8 Tracks und 53:16 Minuten umfassend, geht es nicht minder, in manchem Fall noch viel extremer zu als auf CD1. Schon im 12:36 Minuten langen "Inertia In Flames", das noch überraschend still und sehr abstrakt beginnt, aber schon zu Beginn das Baritonsaxophon Töne ausspucken lässt, beweist eindrücklich, was mit Steigerungspotential gemeint sein kann. Wenn auf CD1 die doomigen Avantrock-Strukturen dominieren, bersten hier die hörfreundlichen und im Grunde ihres Daseins freundlichen Einzeltöne zu wahnsinnigen Free Jazz-Stürmen auf. Das um die 6 Minuten lange "Superfestival" ist die wohl ‚normalste' Rocknummer auf der CD. Zwar geht es auch hier rasant und sperrig zur Sache, aber der Song hat ein gewisses eingängiges Potential, was zum einen am Bass-Keyboard-Riff, zum anderen an der zwar komplex aber relativ gleichmäßig programmierten Schlagzeugarbeit liegt. Darüber flattern Elektronik-Noise-Extravaganzen, die den tonalen Raum bunt und schick machen. Gleich drauf geht es in Doom Metal der atonalen Sorte. Manischer Bass, ein durchgeknallter Schlagzeuger, Keyboardsounds wie aus dem schrecklisten Drogenrausch, weibliches Gekreisch im Off, elektronische Tonbrücken, Gebläsefetzen - so könnte der dritte Weltkrieg klingen, der hoffentlich nie kommen mag.
Zwar gibt "Ankh" noch einmal ein knackiges Riff vor, doch was die Rowdys daraus machen, ist alles andere als eingängiger Rock. Der atonale Sound ist scharf gewürztes Futter für Fortgeschrittene, wie Charly (Freakshow Obelix) es wohl nennen würde. Die letzten Songs laufen über 5 bis fast 8 Minuten und nicht einer entschärft die lustvolle Pein.
Dieser erstklassige Reigen kann nur unbedingt allen empfohlen sein, die Zeuhl, Doom Metal und Avantgarde Jazz ebenso zugeneigt sind wie Avant Prog.

Doch das ist längst nicht alles. Eine Reihe weiterer Alben ging aus dem kreativen Pool unter dem Namen Combat Astronomy hervor. Am 1. April 2011 wurde das wenig scherzhafte, 49:15 Minuten lange Doom-Prog-Monster "Flak Planet" realisiert.
Martin Archer (org, p, elect, saxes, b-cl, b-fl, etc), Mick Beck (ts, etc), James Huggett (b, etc), Mike Ward (ts, fl, etc) und Derek Saw (pos, tr), noch ohne 'echten' Schlagzeuger und auf Rhythmusbasis - neben dem manischen Bass - programmierter Schlagzeugarbeit, die zwar technisch als programmiert anzuhören ist, dafür aber unglaublich viel Arbeit bereitet haben muss, weil sie so ungemein komplex ausgefallen ist, ackern den Avant-Drone-Metal-Jazz-Prog hier ebenso erstklassig, abstrakt und radikal aus. Die Düsternis ist erregend und von einer voluminösen Dichte, die enorm beeindruckt. Das Bläsergefräse ist enorm scharfkantig und hier weitaus jazzlastiger als auf "Time Distort Nine". Die Bläserstruktur setzt auf Riffs, kantige Phrasen und wilde Soloausflüge. Sprich: die Basis (Bass und Schlagzeug) donnern extremen Metal-Doom-Prog, auf dem Elektronik und Bläser radikale Jazzphantasien hoch touren. Vier Songs zwischen 6 und 7 Minuten stehen dem 4-teiligen, über 21 Minuten langen Düsternis-Drama "Inverted Universe" zur Seite, die Radikalkur in Sachen abstrakter Musikkunst in schwerer, heftig brachialer Rockkultur ausdrucksstark, vielseitig und erschütternd zu gestalten. Gelungen, kann ich nur sagen. Wie allein über weite Minuten der Bass, die Elektronik im Off und das Schlagzeugdonnern manisch auf der Stelle stehen, als sei es eine Lust, diese wahnsinnige Situation auszukosten, verblüfft. Wenn dann die Bläser kantige, krass atonale Attacken daraufsetzen, wird die Erfahrung zum radikal ausgefallenen Genuss, wie er zuvor noch nie erlebt war.

Und noch ein Album liegt mir vor. "Kundalini Apocalpyse" aus dem Jahr 2013. Eingespielt in der Besetzung Martin Archer, Elaine Di Falco, James Huggett und Juxtavoices (einem Chor, der von Martin Archer dirigiert wurde), geht es hier nicht minder finster, abgründig und radikal zur Sache. Vielleicht sind die lautmalerischen Stimmen, oftmals psychedelisch ins Off flatternd, die manisch minimalistischen Arrangements samt Bläsern und Tasten etwas weniger radikal und angriffslustig, etwas milder, aber kaum weniger intensiv.
Über 60:45 Minuten und 10 Songs, von denen einige erstaunlich kurz ausgefallen sind (anderthalb bis knapp 14 Minuten), wälzen sich ambiente Schwerelosigkeit wie aus dem Albtraum, bassradikale Dramatik, elektronisches Schlagzeuggewitter und feine Bläserphrasierungen, die zwar in extreme Atonalität reichen können, aber auch harmonischere Pfade beschreiten. Ganz nach motivischer Entwicklung und emotionalem Ausbruch. Der Klang und manches etwas gleichförmige in der Schlagzeugprogrammierung stören auch geübte Ohren kaum. Zwar wäre ein Mann wie etwa Dave Kerman perfekt am Platz. Doch auch dieser synthetische Radikalklang hat seinen Reiz. Und wenn ein Track über 5 Minuten wie der Wahnsinn gewordene Ausdruck frei gelassener Rockklänge nach aller Rockmusik und aller Zeit klingt, aber doch seine milde Note hat, bricht ein zwei Minuten langer Overkill mit neuer Szene über die Ohren ein, dass keine Rettung bleibt.
Combat Astronomy greifen Grenzen an, fallen über Hörgewohnheiten her, erschrecken mit brachialer Note - und bieten doch nur Musik zum reinen Vergnügen. Für alle, denen nichts mehr reicht.

combat-astronomy.bandcamp.com
VM



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