Chris Opperman "The Lionheart" (Purple Cow Records 2010)

"Sors - immanis et inanis" - Schicksal, ungeschlacht und eitel! Das wird bereits in Carl Orffs "Camina Burana" verwendet und steht auf dem Cover der neuen CD von Chris Opperman. Gestaltet wurde dies vom Comickünstler Mark Buckingham, der Oppys musikalisches Wesen in einen Ritter verwandelte, der mit gezogenem Schwert auf geharnischtem Pferd, angetrieben vom Sturm der Inspiration auf sein Publikum stürmt, um es mit aller Macht zu ergreifen und in seinen Bann zu ziehen. Und Oppy meint ganz locker: Musik beweist die Existenz von Magie in der Welt. Damit bezieht er sich auf Friedrich Nietzsche und Frank Zappa zusammen. Der eine meinte: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Der andere: "Information ist nicht Wissen, Wissen ist nicht Weisheit, Weisheit ist nicht Wahrheit, Wahrheit ist nicht Schönheit, Schönheit ist nicht Liebe, Liebe ist nicht Musik, Musik ist das Beste."
Mit Frank Zappa hat Chris Opperman, kurz Oppy, noch mehr gemein. Beide komponieren ähnlich komplexe Musik, jeder auf seine Weise. Gleichfalls gibt es deutliche Unterschiede zwischen beiden Künstlern. Während Frank Zappa selbstbewusst seine Welt dirigierte, ist Chris Opperman persönlich ein äußerst sensibler und leiser Mensch, der auf großer Bühne keine so bedeutende Präsenz wie FZ hat, und doch mit seiner Einzigartigkeit und Zurückhaltung beeindrucken kann.
"The Lionheart" ist ein besonderes Werk. Oppys 1998er Debüt "Oppy Music Vol. 1" war ein grandioses Meisterwerk, zappaesk, schwer komplex, sehr schräg und von tiefsinnigem Humor durchzogen, frech und witzig, frisch und schwer beeindruckend. Darauf folgte das Soloalbum "Klavierstücke" 2001. Die beiden nächsten Alben "Concepts of Non-linear Time" (2004) und "Beyond the Foggy Highway" (2005) waren zarte, poppige und doch komplexe Rockalben, die progressive und neuklassische Motive trugen, gleichfalls eingängig und nachvollziehbar waren, ohne die Qualität zu erreichen, die beide Vorgängeralben aufmachten und doch von großen Eindruck waren. "The Lionheart" setzt etwa dort an, wo "Oppy Music Vol. 1" aufhört. Nicht nur, dass mit "Beware of the Random Factor" ein Song des Debüts neu (und neuartig) eingespielt wurde, die Stilistik ist sehr ähnlich und meisterhafte Songs sind auf der CD enthalten.
Opener "Haasis" ist ein Pianosolo-Stück, dieser Art folgt mit "Knight of Winter's Day" später auf der CD. Das aufgeregte Motiv stolpert über sich selbst und macht die Frage auf, was darauf wohl nur folgen möge. Ein gewagter Opener, der, bei mehrfachem Durchhören, durchaus überzeugt, und vom Humor spricht, den Oppy musikalisch besitzt: das Publikum vor Fragen zu stellen, zu verblüffen, zu irritieren - und magisch in den Bann zu ziehen. Darauf folgt das über 7 Minuten lange "Beware of the Random Factor", das identische Motiv, neu erzählt. "Miles Behind" ist eine zarte Ballade, Miles Davis gewidmet, das von einer unglaublich fesselnden Harmonie gebündelt wird. Zart und fast ein wenig belanglos erscheint es im ersten Moment, bis sich die verblüffende Magie auftut. Das so ein Stück sich versteckt, ist nicht möglich. Damit beweist Chris Opperman, Oppy, ganz große Qualität als moderner Komponist. "Gen-Ebulous" ist ein neues Stück, das wiederum an die vorherrschende Stilistik auf "Oppy Music Vol. 1" erinnert. Komplex, jazzig, humorbetont, zurückhaltend, selbstbewusst und von großer Sensibilität fließt die abstrakte Note gut gespielt dahin. Tolles Bandinterplay und die schwere Komplexfigur überraschen stets aufs Neue. Ein weiteres sehr schönes Motiv besitzt "Telepathy on Mars?", das klingt, als spielten ELO und Frank Zappa gemeinsam in melancholischer Erinnerung an die Beatles ihre aufwendige Verneigung. "Johannah" ist sehr sparsam, fast nur Piano und Cello, die Band setzt spät ein, überrumpelt die dezente Note mit Verve und führt das bislang zarte Motiv auf anderem, lauten Level ebenso zart weiter. Verblüffend, wie das gelungen ist. "Knigt of Winter's Day" als zweites Solo-Piano-Stück hat ein melancholisches Motiv, das über viel Hall laut auffährt und episch abebbt. Gewidmet ist die Komposition Comiczeichnern, zuerst Mark Buckingham und Bill Willingham. "White Willow" ist die musikalische Umsetzung japanischer Haikus, dreizeiligen Kurzgedichten. Zwei Haikus, im Booklet abgedruckt, hat Chris Opperman selbst geschrieben. "Idaho Potatoe" ist eine lyrische Liebesballade mit absurdem Text, den man wohl nur in Idaho versteht. Die countryesk angehauchte Melancholie-Studie wirkt in ihrer Sanftheit überaus überzeugend und ist doch, scheint es, doppelter Ausdruck schwarzen Humors. Ganz echt also.
Das letzte Stück auf der CD, "The Porpentine", über 15 Minuten lang, ist die aufwendigste und komplexeste Komposition der ganzen CD. Diverse Songs der CD wurden von Oppy und der Band um ihn, Mitgliedern von Project/Object, live während der Zappanale aufgespielt. Was dort in verschlanktem, schmalen Arrangement zu hören war, bringt es in seiner ganzen Größe, nicht ohne Bombast und klassisch symphonisches Arrangement, zu ganz anderem Eindruck. Die zwölfteilige Komposition ist ein Ereignis, das Rockband und klassische Musiker vereint zeigt. Die vielschichtige Suite hat wiederum zappaeske Qualitäten, in ihrer Komplexität und Dynamisierung, beweist zudem die geschulte Handschrift Oppys, der Rock wie klassische Musik zu komponieren und also denken weiß, was nicht nur in der Gestaltung der Disharmonien nachzuvollziehen ist. Zur Musik empfehle ich das Studium des Booklets, so werden die reichen Facetten des Werkes nachvollziehbarer, übersetzt sich die Intention der Musik einmal mehr für den Hörer. Nicht zuletzt sei auf die "Black Page" am Ende des Booklets verwiesen, wo technische Angaben und Thank Yous angegeben sind, Widmungen und kleine Erklärungen.
Nur unbedingt!

chrisopperman.net
VM



Zurück