Charles Spearin "The Happiness Project" (Arts & Crafts Productions, VÖ: 27.03.2009)

Musikprojekte wie "The Happiness Project" erfreuen diesen Planeten und seine Eingeborenen auf eine persönliche und intime Weise, wie sie von Poserplatten aller Couleur, damit meine ich etwa den Kram, der in der Industriestatistik der glitzernden Chartwelt Teenager verführt und ihnen den Zugang zu Musik verwehrt, niemals erreicht werden kann.
Die Idee ist verrückt, die Umsetzung verrückter, das Resultat total verrückt. Stalinisten wie Nazis hätten diese fabelhaften Klänge als "entartet" eingestuft und den Künstler verboten. Schön, dass momentan nicht nur Frühling ist, die Sonne scheint und die Welt sich trotz der dämlichen Menschheit weiter dreht, im alten Deutschland derzeit keine Scheiß-Diktatur herrscht und Musik wie die von Charles Spearin nicht nur erlaubt, sondern auch veröffentlicht wird.
Charles Spearin begann, die Leute in seiner Nachbarschaft zu interviewen, Mrs. Morris, Anna, Vittoria, Vanessa, Marisa, Ondine, Mr. Gowrie - zum Schluss der rund 31 Minuten langen CD kommt Mrs. Morris mit einem Reprise noch einmal, Erwachsene, Alte, Jugendliche, Kinder, kleine Kinder. Erst im Laufe der Interviews wurde aus dem noch namenlosen das "Happiness Project" - die Interviewten nannten es so und Charles Spearin übernahm das einfach.
Mit den Interviews auf Tape überlegte der Multiinstrumentalist, wie er die Aufnahmen nutzen könnte. Er wollte die redenden Stimmen zum Singen bringen. So wurden die Aufnahmen manipuliert, gesampelt, Instrumente wie Wadenwickel darum gelegt, so gehen Stimme und Saxophon oder Harfe und Stimme oftmals unisono einher.
Einige Tracks sind kurz und ambient, leicht und kuschelig, angenehm und witzig. Andere haben phantastische Bläsersätze, nicht nur um die Vokalparts gelegt, sondern instrumental ausschweifend, reichhaltige Arrangements pflegend, melancholische oder fröhlich-forsche Stimmungen auskostend.
Viel stilles, zartes Material gibt es zu hören. Wie verwunschen die Klänge, und was die Leute sagen, von ihren Sorgen, Ideen, dem, was sie bewegt, redend, und wie Spearin das zu Musik entwickelt und gebastelt hat, ist hinreißend. Schräg, gewiss, abgefahren und witzig, und zuerst für Leute interessant, die Englisch leicht verstehen, wenn das, was gesagt wird, auch keine große Herausforderung ist. Die Stimmen der Nachbarn halt, so wie die meiner und deiner Nachbarn. Lachen lockert die partiell tiefe Stille auf, Stimmen und Instrumente verführen, sich dem Klang hinzugeben, die Augen zu schließen und die roten Blutkörperchen genüsslich ihre Bahn ziehen zu lassen.
Verrücktes Teil. Schönes, verrücktes Teil.
Ach ja, was musikalisch passiert, hat viel Jazz, hat Folk, Rock, ambiente Flüssigkeit und Filmmusikcharakter, letzteres nicht nur wegen der Stimmen.

happiness-project.ca
canvasmedia.ca/charlesspearin
VM





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