Capharnaüm "Le Soleil est une Bombe Atomique" (Unicorn Digital, VÖ: 04/07)

Capharnaüm ist ein kanadisches Quartett, das seit 12 Jahren zusammen spielt und jetzt seine erste CD veröffentlicht. Auf der Webseite der Band kann man nachlesen, wie froh die Band ist, ein Label wie Unicorn Digital gefunden zu haben, dass sich, wie dort steht, mit "Progressive Rock" beschäftigt. Allem Anschein nach hatten Capharnaüm wenig mit "Progressive Rock" am Hut, und wussten noch weniger davon.
Umso erfreuter ist die Band, just hier untergekommen zu sein. Und erstaunlicher Weise ist das, was die Band spielt, viel "progressiver" und durchaus viel anspruchsvoller, als das, was etliche Krampf-Prog-Combos so zusammenbasteln. Nichts in den 10 rein instrumentalen Songs hat eine wirkliche Parallele im Progressive Rock, was vielleicht auch daran liegt, dass es keine Keyboards gibt.
François Blanchard (g, prog), Marc-Andre Blanchard (g), Phillipe-Antoine Bernard (b) und Maxime Brisebois (dr, perc) sind tief ins Spiel versunken. Die Songs sind verspielt und lyrisch, rocken heftig auf Basis schräger Metal-Riffs oder epischer Motive, haben Esprit, zeigen Verve - und keine Sekunde ist nervös oder hektisch. Die Band improvisiert nach Herzenslust, nimmt jeden Song auseinander und fügt mit lustvoll experimenteller Phantasie diverses ausgefranste Ideengut hinzu. Kein Track ist besonders lange, zwischen 3 und 7 Minuten sind die Ideen ausgebaut, jedes Stück ist kurzweilig und trotz einiger Vertracktheit verblüffend eingängig (für Progressive Rock Verhältnisse). Besonders komplex geht die Band ihre Songs nicht an, was schon in den persönlichen Vorlieben der Truppe erkannt werden kann. Nein, das entwickelt sich, so klingt es, ganz von selbst, die Stücke erwachen nach einiger Zeit aus dem Dämmer, aus dem Wind wird eine Brise, dann ein Sturm und alle Vier arbeiten sich sehr experimentell durch die eben noch liedhaft schwebende Note. Capharnaüm haben ein ausgeprägtes Gespür für sanfte, zarte Motive, für melancholische Stimmungen, die selbst in erregten, harten Parts, wenn eine der Gitarren wild soliert, nicht erstirbt. Mitten in den Instrumentalorgien (auf der Band-Webseite steht dazu: "jazzy chaos"), wenn die Band sich vollkommen verausgabt, spürt man die Hingabe der Musiker ganz besonders. Das Quartett zeigt in den 50 Minuten der CD einen exzellenten eigenen Ausdruck, der nur unbedingt intensiv, vertrackt und konzentriert gelassen bezeichnet werden kann. Stets ist zu spüren, dass der Vierer schon lange zusammen arbeitet, die Jungs finden gemeinsam zu einer höheren Verbindung.
Unicorn Digital zeigt wieder einmal ein glückliches Händchen bei der Auswahl neuer Hühner im Stall. Mein Tipp: die CD kaufen, die Boxen austarieren, Zigarre anzünden, zurücklehnen und die Welt samt Hühnerstall, windschiefer Scheune und Garten zu Capharnaüm sich drehen lassen...

capharnaum.biz
unicorndigital.com
VM



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