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Burnin Red Ivanhoe "BRI" (Sony Music 2013)


Ich gebe es zu: der Name der Band war mir ein Begriff, doch eine Platte von Burnin Red Ivanhoe hatte ich bislang noch nicht gehört. Es gibt noch viel zu entdecken.
1967 in Kopenhagen unter Einfluss von Avantgarde Jazz, Beat, The Who und Albert Ayler gegründet, traten The Burnin Red Ivanhoes 1968 das erste Mal auf. Bald wurde der Name zu Burnin Red Ivanhoe gekürzt und 1969 legte das Plattenlabel Sonet das Debüt "M 144" (im Booklet wird Bezug darauf genommen) als Doppel-LP auf - einer der wenigen Fälle im skandinavischen Rock, in dem das Debüt einer Band gleich auf zwei LPs angelegt war. Beat, Blues, Hardrock und Jazz waren die Antriebmittel für die 20 Songs auf "M 144", die Studiosongs waren mit wenigen Ausnahmen überwiegend kurz, live improvisierte die Band, kümmerte sich nicht um Songdienlichkeit und bastelte lange, sehr lange Tracks.
Eine EP und 9 Alben folgten. Zwar löste sich die Band bereits 1972 wieder auf, und einige Mitglieder gründeten die Jazzrock-Kapelle Secret Oyster (deren Alben sämtlichst digital remastert neu aufgelegt wurden), doch hin und wieder reformierte sich die Band, trat live auf und veröffentlichte Alben. Die letzte Produktion bislang, "Live 1970-74" enthält, wie der Name bereits sagt, Liveaufnahmen früher Jahre.
Und nun legen Karsten Vogel (sax, cl, keys, voc), Kim Menzer (harm, fl, tr, voc) und der Nachwuchs Aske Jacoby (g, voc), Jens Runge (g, voc), Lone Selmer (voc), Assi Roar (b) und Klaus Menzer (dr, perc) ein neues Studioalbum auf - und was für eines!
Obschon nicht wirklich Progressive Rock, haben alle Songs, selbst die poppigen Stücke diese ganz bestimmte klassische progressive Patina, die neben der überwiegend vorherrschenden melancholischen Charakteristik alle Songs bestimmt.
Jazz, Rock, Pop, Beat - das alles findet in den zwischen 4 und 6 Minuten langen Songs (und den beiden kurzen Tracks am Ende der CD) statt. Sehr feine, großartige Gitarrensoli zieren die Songs, kraftvolles, kerniges, schön differenziertes Schlagzeugspiel und wummernder 70s Bass unterheben die Songs perfekt, und jeder Songs hat so seine Besonderheit.
Opener "Tiden om tiden" scheint direkt aus den Endsechzigern zu stammen, kernig rockt der Song mit fetzigem Gesang dahin. "Café Blåhat" ist eine ungemein sensible Ballade, die durch Morten Benjamins großartig kratzig-dunklen Sprechgesang und die zum Niederknien und Heulen schöne Bandbegleitung lebt. Gleichzeitig Seemannslied (Harmonika), Jazz und Blues, Ballade und - progressive Lyrik.
"Sig det" gibt Saxophon und Flöte den Einstieg, bis die lässig melancholische Band einen knackigen Balladenrocker daraus macht, der schön jazztrunken und dunkel über 5 Minuten streicht. "M 144" als mit 6 Minuten längstes Stück und Reminiszenz an die ersten Tage der Band ist schön schräger Progressive Rock mit extravagantem Bandinterplay auf hartem Rockdrumming, wieder schön jazztrunken und ungemein kernig. Bester Anteil neben der rassigen Komposition: die Bassarbeit Assi Roars. Hochachtung! Dieses Solo ist ebenso perfetto wie das der Flöte im Anschluss.
"Alting var bedre" im Anschluss ist der erste Popsong. Klingt, als stamme der Song direkt aus den frühen Siebzigern, als Kneipen noch Kultursäle hatten, in denen Bands auftraten. Sehnsuchtsvolle Stimmung und der Sänger singt von seiner "Epiphone guitar" - trotz Pop sehr hübsch und kernig rockend, und selbst hier ist die progressive Patina vollständig ausgebildet. Lustig der Damenchor im Off, der später noch einmal wiederkehrt. Und: grandioses Gitarrensolo! (Epiphone guitar!)
"Mind the gap" im Anschluss ist, ganz persönlich für mich, der Tiefpunkt des Albums. Indes ist der Song für die Band und das Label wohl wichtig. Der Poptrack mit Damenchor im Off und New Wave - Feeling ist zwar nicht gänzlich langweilig, aber sticht aus dem Repertoire als ‚besonders' hervor. Pop pur.
In "Ironman Ivanhoe", der wohl experimentellsten Nummer der CD, spielt die Band im Off schrägste Figuren, das klingt sehr nach (mildem) Free Jazz, hat seine Wirkung. Doch im Vordergrund steht die Stimme von Kim Menzer, der die Story von ‚Ironman Ivanhoe' erzählt - nicht singt. Es treten auf: ein Beatnik, das wohltemperierte Klavier, Lady Rowena, Ridder Rap und Walter Scott, die letzten zwei Minuten des Songs sind instrumental, die Band findet zu Melodie, ohne die experimentelle Freakigkeit, die es bislang zu hören gab, zu vernachlässigen.
"Natlig rejse" ist wieder ein Patina-Song aus dem Rockpop-Bereich, der wohl am besten auf Autobahnen funktioniert: episches Motiv, hochpulsender Bass, treibender Rhythmus, Harmonika und Melancholie. "Det er det" könnte von einer Säuferkapelle stammen, sehr lustig, diese nachdenkliche Nummer auf Banjo- und Fidel-Basis. Vermittelt das Gefühl, das nach ausgedehnten Hochzeitsfeiern herrscht, die noch da sind, sind völlig müde, aber zu faul, nach Hause zu gehen. Das Personal räumt auf und die verschwitzten Staubgestalten hängen am letzten Tisch herum, während die Band ihren allerallerallerletzten Song spielt.
Dem dann doch noch einer folgt: "Air II" ist sphärische Melancholie pur. Keyboard, Klarinette und Flöte machen die weite Struktur, auf der die elektrische Gitarre ihr leisestes Solo spielt.
Guter Abspann. Der Film ist zu Ende.
Gut, im Mittelteil sind zwei/drei Songs etwas poppig geraten. Doch bis auf "Mind the gap" ist alles gut. Die sanfte Melancholie der meisten Songs, trotz Rockhärte und Jazztrunkenheit, und diese gewisse Prog-Patina machen das Album besonders.
Zuletzt: gibt es die alten Alben der Band digital remastert auf CD?

karstenvogel.dk
olefick.dk/burn
VM



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