John Wolf Brennan
"The Well-Prepared Clavier" (Creative Works Records 1998)
"pictures in a gallery" (Leo Records 2006)
"The Speed of Dark" (Leo Records 2009)

Die drei hier vorgestellten Alben des Pianisten John Wolf Brennan sind Soloarbeiten. Jeweils über 70 Minuten lang. Da kommt schnell die Frage auf: ist das nicht langweilig? Gleich drauf die Antwort: nein. Solopiano wird in der klassischen Musik gespielt, im Jazz, im Blues, im Boogie Woogie, in der Popmusik und gewiss ebenso in der Rockmusik. Aber ganze CDs nur Piano? Das Piano ist das Instrument, die Kupplung zwischen der Phantasie des Komponisten/Interpreten und dem (offenen) Hörsinn des Zuhörers. Die Musik ist die kreativ umgesetzte Inspiration des Musikers. Piano solo ist so lange nicht langweilig, wie der Musiker Idee hat und nicht selbst langweilig ist, nicht als soziale Person, sondern als kreativer Musiker. Alle Musik ist langweilig. Für die Person, die sie nicht hören mag.
Und John Wolf Brennan hat Idee. Das Piano und den Flügel versteht er nicht als Tasteninstrumente allein, sondern auch als Saiteninstrumente. So spielt er am Flügel mit den Saiten, zupft sie, zieht mit Draht daran, schlägt sie, bearbeitet die Saiten, bis sie Töne wiedergeben, die so zuerst gewiss nicht gedacht waren, aber in ihrer urigen Klangvielfalt komisch, überraschend und unterhaltsam klingen - unterhaltsam sicher nicht in der Art, wie das Geklimper, das im abendlichen Restaurant so ganz nebenbei die Raumleere betatscht und für gute Stimmung sorgen soll. Würde John Wolf Brennan abends im Restaurant spielen, würde wohl kein Mensch mehr essen, alle würden sich nach dem Verrückten umdrehen, der das Piano malträtiert, in den Korpus greift und die Saiten zersägt. Was jetzt klingt, als würde die grausamste Avantgarde sich genüsslich aus der CD ins heimische Wohnzimmer schießen, ist nur als Unterscheidung zum Geplätscher der allgemeinen Unterhaltung gedacht. Avantgarde? Sicher. Ja! Aber nicht in der atonalen Art, dass es schmerzt oder vergewaltigender Donner ist. John Wolf Brennan ist ein sensibler Musiker mit Instinkt, Inspiration - und Humor.
Auf "The Well-Prepared Clavier", extra für VM mit "Das wohlpräparierte Klavier" untertitelt, gibt es diese Griffe in den Korpus, auf das ungeahnte Töne entstehen, die einem avantgardistischen Stummfilm stehen würden, aber eigentlich nix brauchen, um verstanden, übersetzt oder begleitet zu werden. Sie sind ihr eigener Film. Zwischen den zumeist sehr kurzen Stücken knarren und stöhnen Moskauer Türen. Das präparierte Klavier, en nature und darüber hinaus mit blühender, neugieriger Idee gespielt, erweist sich als Hort irrer und wunderbarer Klänge. John Wolf Brennan weiß mit innigem Geschick und ausgezeichnetem handwerklichen und technischen Sachverstand und Spielvermögen ungewöhnliche Harmonien zu erfinden. Zwischendrin plötzlich sind einige Strukturen zu erkennen, die so schon einmal zu hören waren, etwa in "to Henry C.", wo er mit dem Handrücken über die Saiten streicht und diesen Ton findet, der auf Emerson, Lake & Palmers erstem Album zu hören ist, in "Take A Pebble", wo Keith Emerson die gleiche Idee auf sehr ähnliche Weise aufgreift. Dieser ganz kurze Moment entführt jedoch in eine ganz andere Richtung, als dies der Rocksymphoniker getan hat. Manches Stück ist ganz Harmonie, mit viel Hall per Pedal verstärkt, dann trocken und knarzig, knifflig in der melodischen Struktur und keinem gleichmäßigen Rhythmus folgend.
Die ersten 17 Stücke sind ein Zusammenhang, live in Moskau aufgezeichnet (der [wahrscheinliche] Applaus des Publikums ist ausgeblendet). John Wolf Brennan erweist sich als radikaler Künstler mit Idee, die weit über das ‚Normalmaß', und so etwas gibt es auch bei kreativen (und veröffentlichenden) Künstlern, hinausgeht und zum innigen Lauschen einlädt. Ein kurzes Pianoduett, ebenfalls aus Moskau, mit Marianne Schroeder, schließt sich an. Sehr düster, schön ‚schräg' und eigenwillig, und von wohligen Schauer erzeugender illuminativer Kraft, und ganz gewiss nicht ein Sekündli ohne Humor. Die weiteren Stücke sind live in London gespielt worden, hier gibt es Applaus, das Konzert schließt sich thematisch dem ersten an, der gleiche neugierige Klangkünstler bearbeitet das Instrument. Was melodisch, ist erheblich abstrakt und doch sehr harmonisch. Zu erzählen ist die Musik nicht. Nur unbedingt zu hören.

8 Jahre später folgte eine weitere CD mit Soloaufnahmen. Überwiegend am 12.12.2002 in Luzern eingespielt, ist der Klang nicht ganz so perfekt wie auf der ersten CD, der Raumklang im Off hat etwas leicht muffiges, im Vordergrund ist der Klang, das Instrument sehr gut wahrzunehmen. John Wolf Brennan spielt wieder präpariertes Piano, ‚Arcopiano' und elektrisches Piano sowie Melodica. Die Bedienung seiner Instrumente ist etwas weniger avantgardistisch als auf "The Well-Prepared Clavier", aber weit entfernt vom lyrischen Allgemeinzustand historisch gewachsenen Pianospielverständnisses. Lyrik? Gewiss, sehr viel und sehr intensiv. Aber nicht im elisigen Blümchenkleid. Die CD heißt "pictures in a gallery" und die Stücke sind in einer Galerie gespielt worden. Inspiration: die Ausstellung. Pablo Picasso, Paul Cézanne, Paul Klee, Alexander Puschkin. Brennan fährt mit Wucht und Energie über die Tastatur, rasante Momente werden illuster transportiert, er marschiert wie schwer bewaffnet über die Tasten, und über die Saiten. Sensible Themen haben ebenfalls ihre Schärfe. Und jedes Thema seine Zartheit. Das Ineinander der ‚harten' und radikalen mit den lyrischen und innigen Motiven ist ganz ausgezeichnet, sein Spiel emotional geprägt und tief ausgewogen. Da saß ein Meister am Piano, der wusste, was er tat. Und der sein Publikum in der Hand hatte. Es erweckt den Anschein, als hörten selbst die Bilder zu und stände die Welt draußen still angesichts der illustren Klänge, die so spannend und virtuos in den Raum gehen. Manches Stück hat verträumte Melancholie, nachdenklich und versunken ist sein Thema und Brennans gelassenes, zurückhaltendes Spiel trifft das Augenblicksgefühl genau.
Piano (eine Hand) und Melodica (die andere) beenden den ersten Teil der CD, ein kleiner zweiter Part folgt. 8 Stücke, live in Moskau aufgenommen, bereits im Juni 1999. Puschkin gewidmet, ist hier wieder die anarchische Spielweise zu hören, die auf der ersten CD für grandiose Klangüberraschungen sorgte. Klingen so Neutöner, die jazzinspiriert sind? So klingen die Stücke dessen, der mutig, pfiffig und inspiriert genug ist, seine verrückten Ideen ebenso zu spielen. Zum Glück tat er es.

Das neueste Album, noch ganz frisch, "The Speed of Dark", ist ein ‚nonsolopiano'-Album. John Wolf Brennans neue Stücke wirken inniger, lyrischer, erwachsener, emotionaler; normaler vielleicht, aber gewiss nicht ‚normal'. Neben allerhand Piano-Variationen, die da etwa ‚Pizzicatopiano', ‚Sordinopiano'; ‚Tamburopiano' oder auch ‚Framepiano' heißen, sind ‚Indian Harmonium', ‚Irish Whistle', Akkordeon und Melodica zum Einsatz gekommen. Der Klangraum ist trotz des fast stets nur einen Instrumentes, manchmal sind zwei oder drei zugleich zu hören, manche Stücke sind im Studio, andere live aufgezeichnet worden, im Studio konnten mehrere Spuren übereinander gelegt werden (Piano + Akkordeon etwa, samt Riggenbach's Rigi Rail Road Riddle, Fragen?) - der Klangraum nun ist stets einzigartig ausgeleuchtet. Die lebhaften Stücke springen und hopsen, überall Bewegtheit und rhythmische Finesse.
Schönstes Stück ist "Maelstrom", inspiriert durch Edgar Allan Poe. Allein der wahnwitzige Beginn des Stückes nimmt den Atem. Dann sprüht und explodiert es, mit dunklem Klang im humorigen Spiel und mancher melancholischen Partie, die im Sturm der Elemente aufgerieben wird. "Vals 1" hätte ich fast Erik Satie zugedacht - und dann folgen wieder einige dieser radikalen Korpuseingreifenden Klänge. Matte und klare Töne, plärrige und verhallte, Tasten- und Saitentöne, dunkel, tief dunkel, von wohligem Schauer und grandiosem Humor. Maurer hätte John Wolf Brennan vielleicht werden können. Wär' nur schade gewesen um den Verlust der ausgefallenen Musik. Obschon, wie hätten seine Häuser ausgesehen?
John Wolf Brennan scheut vor lautem Spiel nicht zurück, mit dem er Geister verjagt und Taube aus dem Schlummer weckt, in dem zickige Langbeinvögel im Sturm über die Tastatur donnern, und jede Idee von langem Haupthaar in alle Richtungen flieht. Wunderbare Stücke, wild und leidenschaftlich, innig, leise, fast rührig, und dann die Explosionen.
Eine Variation von "Vals" folgt später, noch eine, weitere kleine vergnügte Walzer, als Boten zwischen den Kriegen, ein bewegtes Licht im vitalen Dunkel. "Ländahütte" ist blumig, nur um "Murmelitanz", dieses stelzend wackelnde Ding von komischer Musik vorzuwärmen, das nachdenkliche "Zerfreila" schließt die kleine Trilogie ab.
Was folgt, ist die wohl irrsinnigste Note des Albums. "Pumpkinet(h)ics" ist eine Pumpe, die drei Zylinder hat, eine Güllepumpe, 1929 gebaut, und die macht den Walzer in 9/8. Anhören.
Die Vielseitigkeit hört mit dem letzen Stück nicht auf. Die ungewöhnliche Musik des Solopianisten (Nonsolopianisten) John Wolf Brennan ist nichts für Kategorieschubladen. Jazz? Klar doch! Neue Musik? Neue Musik! Irgendwas anderes? Anderes, OK. Nur nicht irgendwas.
Das letzte Stück greift die Themen aller Kompositionen einmal noch kurz auf, und da wird mir schlagartig bewusst, erneut, wie viel und mehr John Wolf Brennan mit "The Speed of Dark" erdacht und getan hat. Das weckt den unbändigen Drang, die CD in Gänze sofort noch einmal anzuhören, um das dumpfe Verlustgefühl zu bekämpfen, das sich einstellt, als "The Speed of Dark" ausgelaufen ist.
Möwenpick Wein. Urlaub. Essen. Wind und Steilküsten. Vitamine und die Kunst der Musik.
Nur nicht irgendwas.

brennan.ch
leorecords.com
VM



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