Bell Orchestre "As Seen Through Windows" (Arts & Crafts Productions, VÖ: 24.04.2009)

"As Seen Through Windows" ist ein guter Titel für den Opener "Stripes" - der Klang ist nicht optimal, das verwaschene Motiv brodelt undurchsichtig vor sich hin, die Bläser sind übersteuert, das quasi psychedelische Stück ebbt nach zwei Minuten seltsam aus. Wo führt das Bell Orchestre mit ihrer Musik uns nur hin?!?
Das experimentelle Orchester hat nichts Traditionelles in ihren 9 Songs, obschon so manche Komposition sich aus scheinbar bekannten Harmonien und leichter Unterhaltungsmusik speisen. Folk, Neue Musik, Post-Rock, Jazz, Pop, wie von einer Zirkuskapelle gespielt, die ihre ernst Nummer probt und dabei auf ungeahnt schräge und anspruchsvolle Kunststückchen trifft, bekommen in den Tracks einen ansprechenden Glanz, der mit absolut nichts zu vergleichen ist. Klingt, als hätte die Band die Musik für einen Film eingespielt, der niemals gedreht worden ist und niemals gedreht werden wird. Die Musik ist der Film. Wenig nur arbeitet Schlagzeuger Stefan Schneider herkömmlich, seine Arbeit entfernt Rhythmus eher, als dass es einen solchen einbaut. Richard Reed Parry (b, key, perc), Pietro Amato (fr-h, electr), Kaveh Nabatian (tr, Melodica) und Mike Feuerstack (lap steel g) bauen die eigenwillige harmonische Weite der Songs aus, schaffen diese, ja, Kirchenmusik-Atmosphäre mit afrikanischem Gestus, europäischer Folklore-Lässigkeit und Kunst-Intensität. Sarah Neufeld ist der Mittelpunkt des Geschehens, ihre Violine spielt die Soli, sitzt den angeregten Momenten im Nacken und drischt über die Bläserharmonien frech und vital hinweg, dass es eine Freude ist.
Im Untergrund gibt es bisweilen Lärm, der von schleifenden Stühlen, umgestürzten Blechkisten oder sonstigem Geräume zu stammen scheint. Hier und dort ist nur dieser Krach Basis und Rhythmus der Tracks. Wenn der Begriff nicht so absurd wäre, müsste der Sound der Band als Art Klassik bezeichnet werden. Als absorbierte die Band alles je in ihren Ohren und Sinnen aufgetauchte Klingen und Lärmen zurück zu klassischen Wurzeln, alles je populär Dagewesene ist wie Maische zu Schnaps gebrannt. Das Bell Orchestre, das schöne Orchester, mag Leichtigkeit, hellen Klang, zarte Lyrik - und scheut Disharmonien und kratzig schwere Töne nicht. Manche epische Note scheint aus nichts als Wohlgefallen zu bestehen und hat doch Impulsivität und Leben. Gerade das letzte, über 11 Minuten lange "Air Lines/Land Lines" in seiner lebhaften Mixtur aus klassischer Kammermusik und folkloristischer Tanzfähigkeit ist Anmut und Anspruch auf die zarteste und gleichzeitig lebhafteste Weise.
Ein Traumalbum. Nachher weiß man nicht, hat man die Musik gehört oder war in Klang versunken, ohne bewusste, konkrete Wahrnehmung… Bella Musica!

bellorchestre.com
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VM



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