The Beach Boys "The Smile Sessions" (Capitol/EMI, VÖ: 28.10.2011)

Ist der 28.10.2011 ein für die Popmusik historisches Datum? Kaum. "Smile" als zerrissenes Erbe einer grandiosen Band, eines grandiosen Pop-Komponisten, ist eine Never Ending Story, ein für immer zerrissenes, fatalistisches Symbol der Band "The Beach Boys". Es wird als das "größte verlorene Album der Rockgeschichte" bezeichnet, wurde zu seiner Zeit nicht veröffentlicht, entstand erst gar nicht in vollendeter Form. Zu viele negative Einflüsse hatten alles zerstört, so dass der geniale Komponist des Werkes, Brian Wilson, der künstlerische Kopf der Beach Boys, der niemals das Image, das der Band bis heute anlastet, verinnerlichen wollte und konnte, zur damaligen Zeit sogar Aufnahmen aus den "Smile"-Sessions vernichtete(!). Andere Parts der Sessions verschwanden für lange Zeit im Keller der Band. Brian Wilson, der Kopf der Beach Boys, Genie und Wahnsinn in sich vereinend, hasste, wofür die Band stand. Stand in ständigem Konflikt mit seinem Vater, Murry Wilson, der selbst gern ein Popstar gewesen wäre, aber niemals die Chance und Möglichkeit hatte, sich nach eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und längst nicht das kompositorische Genie seines Sohnes Brian besaß, dafür die diktatorische Größe, steten (hässlichen und schmälernden) Einfluss auf die Band zu nehmen, die er von Anfang an förderte und unterstützte. Brian Wilson gelang es nie, freizuschwimmen, zu groß waren die widrigen Umstände, zu schwach und zu sehr kunst-, kreativ orientiert war das Genie. Bis "Smile" war Brian Wilson Komponist und künstlerischer Kopf der Band, doch als sein Projekt "Smile" zerbrach, das neue, für diese Zeit ungeahnt progressive Ausmaße verwirklichen sollte, "das größter Rockalbum aller Zeiten", ging auch sein Urheber Brian Wilson kaputt, versank in einem Sumpf aus illegalen und damals noch legalen Drogen (LSD), die er, wie die ganze Band, schon reichlich genossen hatte, nun aber vollkommen zum Lebenszentrum machte. Über die Beach Boys und die vielen, bisweilen enorm ausgefallenen und extremen Geschichten um Band und ihre Musiker gibt es reichlich Literatur, mehr noch Gerede und Gequassel, das längst nicht von Belang ist.
Brian Wilson erlebte die fatale Geschichte am eigenen Leib und kaum wird zu erwarten sein, dass die unglaublichen Geschehnisse um sein Leben jemals in ganzem Umfang aufgearbeitet biographisch verarbeitet werden. Zu viele Varianten und anekdotenreiche Erzählungen changieren im rockinteressierten Publikum, als dass eine klare, schlichte Erzählung noch Sinn machte. Das ist gewiss auch nicht nötig, als nur für diejenigen unter den interessierten Fans, denen das ‚geheimnisvolle' Leben ihres Stars mehr Sinn macht, als die Musik, für die er steht. Und es geht nur um die Musik. Die Person Brian Wilson, die personelle Besetzung der Band sind Geschichte genug, alle widrigen und ungewöhnlichen Geschehnisse sind ihre Privatsache und dem Kanon der Popmusik nicht zuträglich. Genug.
1967 wurde das Beach Boys-Album "Smiley Smile" veröffentlicht, es enthält 11 Songs, die über 27 Minuten ein Rudiment dessen erzählen, was "Smile" sein sollte, aber längst nicht das, was Intention des kreativen Kopfes Brian Wilson war. 1993, 27 Jahre später (!), wurde die 4(5)CD-Box "Good Vibrations" veröffentlicht, auf deren zweiter [die Tracks 18 bis 28] (und dritter) CD Aufnahmen enthalten sind, die nie zuvor veröffentlicht worden waren und Ausschnitte dessen enthalten, was für "Smile" gedacht war. "Smile" selbst war eine noch vage Idee Brian Wilsons gewesen. Unter den Umständen damals nie vollkommen und fertig ausgearbeitet, ging es im Laufe der Zeit unter, überschwappt von den allgemeinen und weiteren kreativen Ereignissen der über ihre Zeit wachsenden Band. 2004 endlich schien die Zeit, dass "Smile" letztlich in der (damaligen) Version endlich das werden sollte, was es immer sein sollte, ein vollständiges, umfassendes, progressives Rockalbum. Und Brian Wilson meint im Booklet zur aktuellen "The Smile Sessions" - CD, er sei 2004 der Ansicht gewesen, sein Meisterwerk, das größte nach dem grandiosen "The Pet Sounds" von 1966, würde die Form gefunden haben, der es immer schon entsprochen haben sollte. Doch, und dies zum Zeichen, ist "SMiLE" wieder und erneut zur aktuellen Arbeit geworden. Und so wird es sein, bis zum Ende der Popmusik. Ein unveröffentlichtes Album aus seiner Zeit, das Größte seines Erschaffers, DAS Werk, beschäftigt den kreativen Erzeuger und das erschreckte Publikum immer wieder, bis beider Zeit vergangen sein wird. Am 28. Oktober 2011, im Zeitalter der großen CD-Boxen, wird "SMiLE" so groß aufgelegt, als sei es das ganze und umfängliche Śuvre der Band an sich.
Als "einfache" CD wird das Werk, das die 19 umfassenden Tracks des Albums enthält, zudem 8 Bonusstücke, Sessions und weitere Songs, heute und damals aufgenommen, gemixt und gemastert, alles im Klang des damaligen Zeitgeistes, so wie ebenso Brian Wilsons "Smile" aus dem Jahr 2004, nur in neuer, anderer, nicht modernerer, sondern kreativ empfundener ursprünglicher ‚Version', wobei die Bonustracks alles andere als Ballast, sondern die Kreativität erleuchtende Schritte sind, veröffentlicht. Dazu gibt es die 2CD, eine 4CD mit allen irgendwie habhaft gewordenen Tracks der erhalten gebliebenen Aufnahmen, zudem die 2LP, das Download-Digital-Album, verschiedene iTunes-Formate. Zuletzt ist Brian Wilsons Idee von "SMiLE" interessant. Die 19 Tracks des Albums. Das runde, vollkommene Album, das nie vollkommen sein kann, nie für den kreativen Kopf erschöpfend befriedigend, das aber letztlich doch eine (hoffentlich endgültige) Form gefunden hat, der keine weitere nachfolgen muss.
Diese Veröffentlichung ist erschöpfend. Sie erzählt das Album in seiner Abfolge logisch und nachvollziehbar. Da sind raffinierte, verblüffende Harmoniegesänge zu hören, weitaus experimenteller und ausgefallener, als auf allen Alben zuvor und danach, und längst nicht auf Eingängigkeit und Liedhaftigkeit getrimmt. Die wahren Experimente sind die Stimmen, Samples und Sounds, der Rhythmus der Säge, die vielen Geräusche und humorvollen Partien, die in großer Fülle das Album ausmachen. In aller Verrücktheit und allem, ja, lustigen Trubel steckt eine gewisse Düsternis, Nachdenklichkeit und schwere Melancholie, die stets aufgebrochen wird von den unzähligen Kleinstideen, aus denen ein jeder "Song" besteht. Gewiss ist das Werk als eines der "Beach Boys" erkennbar. Der Harmoniegesang in seiner unnachahmlichen Vielfalt und traumhaften Melodiesicherheit, selbst in den ausgefallenen, witzigen bis tölpelhaften Passagen, die wie sonst nirgends schräg und hinreißend begnadet sind. Prog Rock ist das gewiss nicht, "SMiLE" ist experimenteller Pop aus der Hochphase der Sechziger, Brian Wilsons Hoch-Zeit. Allein, was es bedeutet, aus einkommenssicherer Perspektive, weltbekannt und nicht nur von kreischenden Teenager-Girls umjubelt, auszubrechen, zu wahrer Kreativität, über Popsongs, so raffiniert und originell sie auch sein mögen, hinauszuwachsen und Musik zu kreieren, die aus Mode und Zeit ragt und das Ansehen der Band in der Popwelt gefährdet. In den Siebzigern sind die großen und kleinen Progressive Rockbands nach ihren Höhen alle den umgekehrten Weg gegangen. Ein wenig Progression noch und ganz viel Pop, den Hörer und die Moneten umschmeichelnd: Kauft mich! 1966/67 ist Brian Wilson und sind mit ihm und durch ihn notgedrungen die Beach Boys den umgekehrten Weg gegangen.
Ist dieses "SMiLE" heute, nachdem die Popmusik alle möglichen Ups and Downs durchlaufen hat, kastriert und vergewaltigt, gepusht und verkauft wurde, als Ganzes (nach 2004 erneut und neu) erfahrbar? Es muss in dieser Form als das bestehen, was es zuerst 1967, zuletzt 2004 sein sollte. Bleibt zu hoffen, dass nicht Hollywood Brian Wilsons Lebensgeschichte konsumtauglich verarbeitet, sondern ein kreativer Betrieb, der die Intention des Künstlers ebenbürtig und vor allem sensibel erzählt und die Verfahrenheit aller Umstände so darzustellen weiß, dass nicht Anekdoten, sondern die Intention der Protagonisten einen (potentiellen) Film lebhaft machen.
Verschiedene, viele klassische Aufnahmen sind hier und heute zu hören. Nicht zuletzt ist das die LP abschließende "Good Vibrations", das als zweiter Höhepunkt nach "Heroes and Villains" gedacht war, in seiner originalen Form zu hören. Alles andere würde nicht überzeugen. Obschon das 2004er Album der Form gerecht wird und doch eine gänzlich andere Geschichte erzählt. Und so wird es wohl fortdauern, zumindest für den Komponisten. Keine Form wird der gerecht, die vor Zeiten, in seiner Zeit gedacht war. Als der Komponist ein anderer war, die Welt eine andere, die persönlichen, künstlerischen und politischen Umstände, Abhängigkeiten von Personen und Firmen, Einflüsse und Musik-Paralleluniversen (The Beatles for example) andere waren.
Ist der 28.10.2011 ein für die Popmusik historisches Datum? Nur für aufmerksame und neugierige Fans. Von denen es mehr gibt, als ein Jeder annimmt.
ALLE Versionen dieses Albums sind Progressive Rock in seiner ursprünglichsten, jungfräulichsten Form.
Thank's a lot, Brian Wilson. Without you, this world never would be the same.

VM



Zurück