Leonardo Balada "No-res (Nothing; An Agnostic Requiem); Ebony Fantasies" (Naxos 2005)

Kann das sein? Es geht um das Nichts! (Da ist Sartre nicht weit.) "(Existenzialismus + theoretischer Nihilismus) · Konstruktivismus = Atheismus" könnte die dahinter liegende Sichtweise in Form einer Gleichung ganz im Sinne des Positivismus lauten. Das alles mag einem spanisch vorkommen, da aber der Komponist aus selbigem Land stammt, sollte man sich über "nichts" wundern.
Um es vorwegzunehmen, es handelt sich bei "No-res" um ein wunderbares Werk. Bevor die Musik ihre Würdigung erfährt, noch einige Worte zum Agnostizismus als "abgemilderter" Variante des Atheismus. Wer bar jeglichen sich Wunderns über die Schöpfung ist, auch in Anbetracht der Existenz des Todes, dessen Wesenhaftigkeit sich nicht in Forme(l)n pressen lässt, muss an selbigem verzweifeln, wenn er einen wie auch immer gearteten Schöpfer leugnet bzw. sich weigert, ihn (an)zu|erkennen, beispielsweise weil es all das Übel auf der Welt gibt. (Die Theodizee, die gerade dies zu rechtfertigen sucht, führt sich selbst ad absurdum, wie schon Epikur bemerkte.)
Andererseits gab es immer wieder Versuche, die Existenz eines Schöpfers zu beweisen, die allerdings schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt sind, da die Begrenztheit des Menschen nicht einmal ausreicht, die Unendlichkeit zu erfassen. Wohl aber gibt es "Indizien" für Gott, denn wer sich offenen Sinnes mit der Natur(wissenschaft) beschäftigt, wird erkennen (müssen), dass die hochgradige Komplexität des Lebens mit seinen mannigfaltigen Interdependenzen jenseits aller Zufallswahrscheinlichkeit liegt. (Die hinduistische Trimurti (Brahma - Vishnu - Shiva) bringt dies als Kreislauf aus Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung zum Ausdruck.)
Balada widmete "No-res" seiner Mutter, deren Tod er nicht zu akzeptieren bereit war und daraus resultierend die Existenz Gottes in Frage stellt(e). Es lohnt sich unbedingt, sich mit dem vom Philosophen Jean Paris verfassten polyglotten Libretto zu beschäftigen, um sein Verhältnis zu Gott und/oder Tod zu klären. (Spötter würden vermutlich an dieser Stelle Nietzsche zitieren.) Gott kann man leugnen, den Tod allerdings nicht und so sollten wir durch dessen Enttabuisierung versuchen, mit ihm leben zu lernen, wenn es auch besonders schwer ist, das Sterben eines nahe stehenden Menschen zu begleiten und diesen Prozess nicht aufhalten zu können.
(Ver)zweifel(ung) sollte(n) thematisiert werden, andernfalls drohen Aggressionen daraus zu entstehen, die niemandem dienlich sind.
Das zweiteilige "No-res" beginnt mit (Wolfs-)Geheul, in das sich Chor und Orchester (Chorus and Orchestra of the Communidad de Madrid; Gesamtleitung: José Ramón Encinar) imitierend mischen, bis sie es schließlich völlig überlagern. Nach einigen Minuten setzt der Erzähler Denis Rafter ein - die ständige Interaktion von Erzähler, Chor, Tonband und Orchester verleiht dem Requiem temporär einen hörspielhaften Duktus, was zunächst möglicherweise verwirrt, den tragischen Charakter des Stücks aber umso plastischer werden lässt.
So wechseln sich aleatorische Sequenzen mit wohl strukturierten Passagen, atonale Stellen und Ton-Cluster lösen sich in fast schon lyrisch erscheinenden Momenten auf - für Avantgardisten nichts Besonderes, aber besonders gut vom Komponisten (in Szene) gesetzt.
Der zweite Teil ist bei dieser Aufnahme komplett in Englisch gehalten, wird allerdings bei Aufführungen der jeweiligen Landessprache angepasst. Die Musik unterstreicht den trotzigen Tenor, mit dem die Existenz bzw. die Gerechtigkeit Gottes in Anbetracht des Todes in Frage gestellt wird und ist nach Aussage des Komponisten "abstrakt, direkt und dramatisch". Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die viersätzige, auf Spirituals basierende Kantate "Ebony Fantasies" spielt mit dem Ursprungsmaterial. Die oftmals geradezu perkussive Textur des Chores ist signifikant für das gesamte Stück, das von den Texten her in völligem Widerspruch zu "No-res" steht. Betrachtet man aber den Titel genauer, so bedarf es keiner interpretatorischen Glanzleistung, hier eine Doppeldeutigkeit zu erkennen. Den Glauben an Gott als Phantasmata schwarzer Holzköpfe zu bezeichnen, erscheint zumindest fragwürdig und erweist sich darüber hinaus als Beispiel für einen ethischen Nihilismus, dem der kategorische Imperativ unbekannt ist. (Esprit hat, wer nicht über etwas Witze macht, bevor er hat über die Folgen nachgedacht.)

Frank Bender



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