Atmosfear "Zenith" (ProgRock Records, VÖ: 17.11.2009)

Sechs Jahre brauchten die Hamburger Atmosfear, nach ihrem 1997er selbstbetitelten Debüt das Follow-Up "Inside The Atmosfear" zu veröffentlichen. Reviews und Fanreaktionen schrieben nicht dem langen Zeitraum die hohe Qualität zu, die Atmosfear aus bandinternen Gründen für das Erscheinen ihres zweiten Werkes brauchten, zuletzt das fertige Album selbstbewusst zu präsentieren, geschadet, so las ich, hatte es der Band jedoch nicht. Die öffentliche, die Außenansicht ist stets anders gestrickt als die vielleicht verzweifelnde Arbeit im Inneren, die viel Geduld braucht, und dann vor einem süchtigen, wohl befütterten Publikum und vor vielfach geübten, satten Kritikern ihre Arbeit zu präsentieren.
Wieder waren es sechs Jahre, die "Zenith" brauchen sollte, ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit der Fans und Szene zu gelangen. Die Prog Metaller alter Schule haben Gleichmut bewiesen, und jetzt ein illustres Album mit gerade einmal sechs Songs und 71:30 Minuten Spieldauer vorgelegt, das von kalten und heißen Hansewassern kräftig durchspült wurde. Wie viel Arbeit und Überarbeitung, wie viel innere Ruhe und süchtigen Drang die Songs erfahren haben und die personelle Band erdulden musste, um ihre Kreativität dem Publikum anzubieten, kann wohl kaum nachvollzogen werden, wieder aber haben die progmetallischen Hamburger ganze Arbeit getan und mit ProgRock Records ein Label gefunden, das ihre inspirierte Kreativität, ihr Album, ihre Songs, ihre Arbeit und Auseinandersetzung, ihren Streit und ihre Einspielung, ihre Soli, Texte und komplexen Songstrukturen so nüchtern präsentiert, als seien sie gerade fertig geworden, als der Labelchef ihnen ungeduldig die Bänder aus der Hand riss, das Stück Musik endlich der Meute vorzulegen.
Oliver Wulff (voc) hat ein, na ja, typisches Prog Metal Stimmorgan, keine klassische Hardrock-Stimme, sondern eine klare, geübte und ausgebildete Stimme, die nicht der Kunst äußerste Kreativität, Modulationsfähigkeit und Möglichkeit, aber illustre Fertigkeit und gewitzte Sangeslust (wie sollte "Spiellust" gehen?) aufweist und die Songs in den dramatischen Lyric-Partien, deren Texte nicht im Booklet abgedruckt sind, und deren Inhalt ich just nicht komplett nachvollziehen kann, was für mich soalsoso als instrumentale Begleitung und besondere Ausgefeiltheit durchgeht, intensiv begleitet, lass ich so stehen, Boris Stepanow (g) als melodischer und weniger riffgewaltiger Gitarrengott, als solistischer Ideengeist, Stephan Kruse (key) auch mal ProgMetal-typische Sounds nutzender, melodisch klassisch und illuster inspirierter Geist, Burkhard Haberle (b), unterstützender, Volumen bastelnder Basser und Tim Schnabel (dr) als Rhythmusschredder und Taktvertrackter arbeitender Techniktrommler - die Band, nicht an Parallelbands festzumachende Kreativitätsschule, hat ganze Arbeit geleistet.
Wenn das Album, durch wohl gestaltetes Booklet und fette Webseite abgefedert, endlich realisiert ist und die Band das erste Bier seit langer Zeit ohne zermürbende Gedanken in sich schüttet und dabei, verflixt, was ist das für eine verrückte Idee, schon wieder neue Musik erfindet oder die Songs, die gerade erst draußen sind, schon wieder hinterfragt, weil drei vier Ideen da drinnen stecken könnten, die genau diese Passage noch fetter, runder, dramatischer, jene radikaler, härter oder komplexer hätten machen können, der Stress weg ist und abzuwarten bleibt, was an Feedback zurückkommt, dann ist es geschafft.
Nicht nur ProgMetal auf der CD, jedes Stück hat sein eigenes Konzept. Opener "Beginning", 1:11 lang, fängt düster mit elektronisch noisigen Klängen an, die von lyrischem Piano hell und licht aufgefangen werden, bis ein romantisches Motiv ohne Pause den zweiten Track einläutet. Als Parallele sind eher Fates Warning als Dream Theater zu erkennen, aber auch das hinkt. Die Hamburger arbeiten nicht ausgesprochen hart, ihr Augenmerk richtet sich auf jede kleinste Kleinigkeit und die reiche Ausarbeitung der unscheinbarsten wie der vertracktesten Idee.
"Generations" hat einen starken Beginn, lyrisch-verhangen und doch klar und leicht baut sich das melancholische Thema auf, bis es von der fetten Metalgitarre übernommen wird. Der Einstieg des Schlagzeugs ist, boah, hinreißend!
Kaum zu glauben, diese Menge neuer Ideen: 2 Siebenminüter randvoll, zwei berstende 12-Minüter, deren zweiter, "Scum of Society", mir besonders gefällt, auch weil der Gesang (!) neben den raffinierten und längst nicht nur progmetallischen Instrumentalfinessen so witzig, emotional und außergewöhnlich stattfindet.
Höchster Berg der an Höhepunkten reichen Platte ist das nicht 23:36, wie auf dem Backcover vermerkt, sondern fast 30 Minuten lange Monster "Spiral of Pain" (nach Ablauf der angegebenen Zeit gibt es eine nur kurze Pause und eine heftige Piano-Ballade beendet die CD), in dem soviel ProgMetal (und sogar mal Bluesrock) radikal und technisch passiert, dass der Aufmerksamkeitsfaden zwar nicht verloren geht, weil die innere Struktur schlicht fantastisch und mitreißend, aber Konzentration gefordert ist.
Danach ist Stille. Und die Lust, die nächsten 30 Minuten gleich noch einmal zu nutzen, den "Song", den unglaublichen Song wieder abzuspielen.
Tolles Werk, gewiss nüchtern erdacht, aber ganz und gar nicht nüchtern in der Wirkung.
Atmosfear atmen die Sonne unseres Planeten auf ihre eigene Weise, sind keine devoten Jünger in Abhängigkeit zur fest betonierten ProgMetal-Stil-Schule. Unwillkürlich kommt da die Frage auf, ob dann in 6 Jahren, erst, ein neues Album der Band wieder zu hören sein wird.
Und wenn schon. "Zenith" hat Langzeitwirkung und bietet jede Menge Überraschungen.
Nix typisch!

atmosfear.net
progrockrecords.com

VM




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