Interview mit Jacob Armen im September 2006

Superlative sollte man wahrlich nur in homöopathischen Dosen verwenden, aber in Falle eines "Kinderstars" am Schlagzeug, der inzwischen erwachsen wurde und nach wie vor Furore macht, scheint ein solcher nicht übertrieben. Es geht um Mr. Jacob Armen, der anders als Tony Royster jr. im deutschen Sprachraum noch weitgehend unbekannt ist, was sich aber schnellstens ändern sollte, denn Jacob spielt selbst die komplexesten ungeraden Rhythmen "groovy" und kann darüber hinaus auf youtube.com bewundert werden, wie er im Alter von sieben Jahren mit einem äußerst anspruchsvollen Schlagzeugsolo brilliert. So überrascht es nicht, dass er bereits im Kindesalter mit musikalischen Titanen wie Prince oder Patrick Moraz zusammenspielte. Gegenwärtig nimmt er übrigens sein drittes Soloalbum auf.



ragazzi: "Wann begannst Du zu trommeln? War das Schlagzeug Dein erstes Instrument und spielst Du noch weitere Instrumente? Wurdest Du, was die Musik anlangt, von Deiner Familie unterstützt?"

Jacob Armen: "Als ich acht Monate alt war, nahm mein Vater meine Hand und ließ mich den rhythmischen Puls von Musik unterschiedlicher Stile fühlen. Ich schlug mit meiner Hand anschließend deren jeweilige Downbeats mit. Es brauchte damals nur sechs bis acht aufeinanderfolgende Viertelnoten, bis mein Timing in Gang kam, wie mein Vater mir vor kurzem erklärte. Als ich 18 Monate alt war, setzte er mich hinter ein fünfteiliges Schlagzeug und lehrte mich 2/4, 4/4, 6/8, 12/8, 5/4, 7/4, 9/4 und Swing zu spielen. Ich bin immer noch erstaunt, wenn ich mich auf Videomitschnitten in diesem Alter spielen sehe. Wenn mein Vater nicht gewesen wäre, hätte ich zumindest nicht in einem solch frühen Alter das Schlagzeug entdeckt - ich kann auch jetzt noch viel von ihm lernen, da er ein ausgebildeter Keyboarder und Komponist ist.
Ja, ich spiele einige weitere Instrumente, von denen ich auf meiner nächsten CD das eine oder andere präsentieren werde."

ragazzi: "Früher wurdest Du, wie auch Tony Royster jr., als Wunderkind bezeichnet - war das eher eine Freude oder eine Bürde für Dich?"

J. A.: "Nach meinem Auftritt bei einer Zusammenkunft der Percussive Arts Society im Jahre 1988, wurde ich als der nächste Lionel Hampton oder W.A Mozart bezeichnet. Zu dieser Zeit war mir das aber völlig egal, da ich den Sinn dieser Attribuierung nicht verstand. Ich war sieben Jahre alt und ein Kind, das genauso gerne Schlagzeug spielte wie sich andere Kinder dieses Alters mit ihren Spielsachen beschäftigen."

ragazzi: "Glaubst Du Deine enormen spieltechnischen Fähigkeiten sind eher die Früchte harter Arbeit oder aber Deiner rhythmischen Begabung?"

J. A.: "Auch wenn ein gutes Stück Begabung im Spiel ist, wofür ich Gott sehr dankbar bin, so muss man sich doch gewissenhaft dem Trommeln widmen, um eine entsprechende Ebene zu erreichen bzw. halten zu können, weshalb ich der Ansicht bin, dass beides in wechselnden Anteilen zutrifft."

ragazzi: "Über welche Inspirationsquellen innerhalb sowie außerhalb der Musik verfügst Du?"

J. A.: "Die Musik als solche ist meine größte Inspiration und wird dies auch immer bleiben. Abgesehen davon, haben authentische Menschen Vorbildfunktion für mich und auch wahre Freundschaft bedeutet mir sehr viel."

ragazzi: "Sehr viele Trommler können entweder gute Grooves im 4/4-Takt spielen oder sie haben ihre Stärke im Bereich der ungeraden, oftmals etwas "steril" wirkenden Metren; nur wenige Schlagzeuger wie beispielsweise Vinnie Colaiuta oder Du können "groovy" in ungeraden Takten spielen. Wie wird eine solche Fähigkeit am besten zur Fertigkeit, d.h. wie schafft man es in unserem Kulturkreis als"unrund" geltende Metren "rund" klingen zu lassen? Kannst Du einige Übungen empfehlen, um in dieser Kunst Fortschritte zu machen?"

J. A.: "Bei mir hat das wohl viel mit meinem kulturellen Hintergrund zu tun, da ich mir keine großen Gedanken darüber mache, in welcher Taktart ich gerade spiele - das alles ereignet sich wie von selbst. Das mag zwar arrogant klingen, entspricht aber der Wahrheit. Der beste Rat, den ich zum Erlernen von ungeraden Takten geben kann, ist denn auch zu versuchen den rhythmischen Puls zu fühlen und sich nicht zu sehr auf das Zählen zu verlegen..."

ragazzi: "...denn die Ratio erweist sich in solchen Dingen oft als Krücke, über die man während des Gehens leicht stolpern kann, wenn man sich zu stark auf die Krücke konzentriert und dem Bewegungsfluss zu wenig Beachtung schenkt. Auch ein Stelzenläufer, der krampfhaft direkt vor sich auf den Boden und seine Stelzen schaut, kann leicht das Gleichgewicht verlieren. Wo liegen eigentlich die Unterschiede zwischen Deinen Solo-CDs "Drum Fever" und "Breakthrough" begründet? War "Breakthrough" auch im wirklichen Leben so etwas wie ein Durchbruch für Dich?"

J. A.: "Auf mein erstes Soloalbum werde ich immer stolz sein, denn ich war zwölf Jahre alt zur Zeit der Aufnahmen, die für das Paisley Park Label (später NPG) von Prince stattfanden. Mein Vater produzierte das Album und ich hatte die Möglichkeit mit Musikern wie Alphonso Johnson, Alex Acuna, Freddie Ravel, Larry Steelman und Eric Leeds am Saxophon zu spielen. Nicht zu vergessen die Mitglieder meiner damaligen Band; Dusty Barber an der Gitarre und Christopher Maloney am Bass, die gleichzeitig gute Freunde von mir sind. Zwei der Stücke des Albums wurden mit einem 17-köpfigen Jazzensemble aufgenommen, das unter der Leitung von Prof. Joel Leach stand, einem Freund der Familie, der zu meinem Mentor wurde. "Breakthrough" wurde eigentlich für ein Konzert in Los Angeles aufgenommen, das tatsächlich eine Art Durchbruch für mich darstellte."

ragazzi: "Spielst Du eigentlich lieber live oder bist Du eher der klassische Studioschlagzeuger?"

J. A.: "Ich spiele viel lieber vor Publikum, keine Frage! Wenn ich Studioaufnahmen mache, lade ich mir einfach Leute dazu ein. Dann fühle ich mich viel wohler, als wenn ich versuche meine Isolation durch die Vorstellung zu überwinden, um mich herum seien viele Menschen wie bei einem Konzert. In einer durch die Besucher lebendigen Atmosphäre denke ich auch nicht so viel über das Konstruieren von Rhythmen nach, sondern lasse zu, dass sich alles so natürlich wie möglich ereignet."

ragazzi: "Kannst Du ein wenig über die Konfiguration Deines Schlagzeuges erzählen?"

J. A.: "Die Zusammenstellung meiner Instrumente hängt stark von der Größe des Raumes, der Art der zu spielenden Musik sowie der jeweiligen Bandbesetzung ab. Meist besteht mein Set aus fünf Hängetoms (8" x 8"), (9" x 10"), (11" x 12"), (12" x 13"), (13" x 14"), zwei Standtoms (16" x 16"), (16" x 18") und drei Basstrommeln (zweimal 16" x 22" und einmal 16" x 18"), zwei Snare Drums (5" x 14" und 5,5" x 10"), zwei Sätzen Roto Toms (jeweils 6", 8" und 10"), einem Satz Bongos (7" und 8,5"), einem Percussion Block, sieben Cowbells in verschiedenen Größen für verschiedene Harmonien und zwei Sätzen Timbales (13" und 14" sowie 14" und 15"); letztere sind hinter meinem Drumset aufgebaut und wurden über die Jahre zu meinem Markenzeichen. An Becken spiele ich ein 8" K Splash, 15" und 16" K Dark Crashes, ein 16" Medium Thin Crash, 17" und 18" A Custom Crashes, ein 19" K China Boy, ein 14" K Mini China, 18" und 20" China Boys High, ein 22" K Custom Ride, 13" New Beat Hi-Hats und schließlich 10" ZHT Mini Hats.
Ich benutze Drum Workshop Trommeln und Hardware, Zildjian Becken, Remo Felle und Roto Toms und Meinl Percussion, ebenso Shure Mikrophone und Yamaha Keyboards."

ragazzi: "Du benutzt viele Trommeln, aber nur relativ wenige Becken. Was hältst Du von der Idee mehr Metallklänge (Bells, Cymbal Stacks, Crashers, Klangschalen, Gongs) zu verwenden?"

J. A.: "Es gibt dafür eigentlich keinen speziellen Grund, höchstens den, dass ich glaube mich mit Trommeln besser ausdrücken zu können als mit Becken. Aber ich versuche den Aufbau meines Sets ständig neu zu gestalten, um kreativ zu bleiben, denn wenn ich Teile hinzufüge, wegnehme oder auch nur deren Position verändere, wird meine Intuition gefördert und meine Spontaneität gefordert."

ragazzi: "Kennst Du eigentlich die Produkte der Firma Factory Metal? Was hältst Du davon?"

J. A.: "Natürlich kenne ich Factory Metal. Wie eine Triangel ihren Platz in einem Sinfonie-Orchester hat, wenn sie geschmackvoll eingesetzt wird, denke ich können die Factory Metals sehr nützlich für das moderne Schlagzeugspiel sein."

ragazzi: "Du nimmst momentan mit der Keyboard-Legende Patrick Moraz auf; wie kam dieser Kontakt zustande? Magst Du Progressive Rock?"

J. A.: Unsere erste Begegnung fand auf einer Messe statt. Ich war neun Jahre alt und spielte eine Drum Clinic, Patrick kam dazu und spielte eine seiner Kompositionen mit mir zusammen - es funkte sofort musikalisch zwischen uns. Für den folgenden Tag lud mich Patrick zu seiner Keyboard Clinic ein und bat mich mit ihm zusammen aufzutreten. Ich benutzte dazu mein elektronisches Drumkit von KAT Drums, einer damals sehr populären Firma, zu deren Endorser-Familie ich zu jener Zeit gehörte. Von da an waren wir trotz unseres Altersunterschiedes Freunde und es macht immer großen Spaß mit solch einem wunderbaren Musiker und Menschen zusammenzuarbeiten. Meiner Ansicht nach wird Patricks Musik dem Verfallsprozess unserer schnelllebigen Zeit trotzen, da sie völlig eigenständig ist. Unsere Zusammenarbeit bei einem der Stücke meiner kommenden Solo-CD wird die Tiefe unserer musikalischen Verbindung unter Beweis stellen.
Was meine Leidenschaft für Progressive Rock betrifft, so habe ich diese Musik seit meiner Kindheit gespielt und darüber hinaus ist sie ein Teil meiner musikalischen Seele."

ragazzi: "Welche Musiker - tot oder lebendig - würdest Du Dir in Deine Traumband holen und welchen Stil würde diese Band spielen?"

J. A.: "Mit jedem versierten Musiker, der Musik nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen hört, ohne allerdings das Gehörte einfach zu kopieren, würde ich eine Band gründen. Auf diese Weise würde sich wie von selbst ein eigener Stil herauskristallisieren, dem musikalische Elemente vieler verschiedener bereits bestehender Stile zueigen wären."

ragazzi: "Wenn Du die Möglichkeit hättest einer der verstorbenen Schlagzeugerlegenden eine Frage zu stellen - wem würdest Du welche Frage stellen?"

J. A.: "Ich würde Gene Krupa nach seinen "Schlagzeug-Duell-Erfahrungen" mit seinem großen Kontrahenten Buddy Rich fragen, so in der Art: ``Wer lehrte eigentlich wem das Fürchten?´´"

ragazzi: "Welche Pläne hast Du für die Zukunft? Gibt es Dinge, die Du im Laufe Deines weiteren Lebens unbedingt noch lernen willst, sei es in rhythmischer oder in allgemeiner Hinsicht?"

J. A.: "Das ganze Leben besteht aus vielen, teilweise in komplexen Zusammenhängen stehenden Rhythmen. Jeden Tag kann man etwas Neues von der Natur lernen. Jeden Tag werden zum Beispiel in der Medizin neue Entdeckungen gemacht. Mit anderen Worten, jede Entdeckung hat Folgen, die ihren jeweils eigenen rhythmischen Fluss generieren. Für mich ist Rhythmik ein solch tiefgehendes, endloses und interessantes Themengebiet, dass es mir nicht möglich ist, dessen Essenz auf einige Sätze zu reduzieren. Ausgehend von diesem Verständnis ist es mein Lebensziel mein Schlagzeugspiel zu weit wie möglich zu entwickeln und damit meinen Vater stolz auf mich zu machen."

Frank Bender



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