Arjen Anthony Lucassen "Lost in the new Real" (InsideOut Music, 23.04.2012)

Pink Beatles in a Purple Zeppelin
Same old sound, different song
(And the song remains the same)
Pink Beatles in a Purple Zeppelin
Sounds so right, feels so wrong

- dabei klingt der runderneuerte Arjen Lucassen eher aus dem Erbe Pink Floyds gespeist. "Lost in the new Real" ist das aktuelle Konzeptwerk der holländischen Größe. Die Texte, im Booklet abgedruckt, haben ihren nachdenklichen Ton, der nicht nostalgisch, sondern wie die stete Sinnsuche noch irritiert, schon zukunftsorientiert mögliche Veränderungen benennt und erläutert. AAL reflektiert viel über Musik und Musiker, Vergangenes, Aktuelles, seine Einflüsse und Rockgrößen, über das Internetzeitalter und die Umwälzungen, die dies mit sich bringt, über Technologie, Wissenschaft, die Gesellschaft in der Zukunft und kontroversen Themen wie Zensur, Geburtenkontrolle, Euthanasie und Religion. Die Geschichte folgt Mr. L, einem Mann aus dem 21. Jahrhundert, der kurz vor seinem klinischen Ableben durch eine tödliche Krankheit kryokonserviert wurde. Das Album beginnt damit, dass Mr. L in der fernen Zukunft wiederbelebt wird, als die Technologie so weit fortgeschritten ist, dass man seine Krankheit heilen kann. Mr. L findet sich in einer Welt wieder, die sich drastisch verändert hat - sogar so weit, dass die Grenze zwischen Realität und Phantasie nicht mehr klar definiert ist. Sein psychologischer Berater soll ihn dabei unterstützen, sich emotional an die seltsame neue Welt anzupassen.
Als Sprecher, der das Konzept erzählend führt, konnte AAL den Schauspieler Rutger Hauer engagieren. Dessen tiefe, eindrucksvolle Stimme, die als der psychologische Berater auftritt, ist beeindruckend und könnte nicht besser besetzt sein. Rutger Hauer schrieb das Erzähl-Skript selbst und hielt sich dabei bewusst an die "Blade Runner" - Referenz "Voight-Kampff". AAL ist bekennender Fan des "Blade Runner" Hauptdarstellers, jener ist beeindruckt von der musikalischen und konzeptionellen Kreativität Lucassens.
Stilistisch sammelt Arjen Anthony Lucassen diverse moderne Stileinflüsse zusammen: Prog, Rock, Folk, Metal und Pop treffen aufeinander und machen das Album rund. Die Songs haben satten Groove, sind ungemein eingängig und flüssig, da machen sogar die wenigen Grunz-Voices im Mix mit "normalem' Gesang Spaß, wenn so ein Song metalhart und popweich wie Frühlingsblumen ins Bewusstsein springt.
"Lost in the new real" ist weitaus weniger progressiv im musikalischen Stil als die Ayreon-Opern, dafür vielseitiger und moderner, poppiger, eingängiger, voll raffiniert eingängiger Arrangements, die das Konzeptwerk sehr abwechslungsreich und überraschend machen. Trotz des hohen Anteils knackfrisch hart rockender Metalsongs bleibt überwiegend der Popeindruck bestehen, die Arrangements sind samtweich und zuckersüß. Immer wieder tritt Pink Floyds Erbe ins Bild, in liedhaften Songs, Gitarrensoli, von Chorgesang geprägten Parts, gar in den am meisten Pop-geprägten Parts. Ebenso sind Beatles-Harmonien und ihre Arrangement-Vorbilder immer wieder in Lucassens Kompositionen zu spüren. Die Refrains sind nach meinem persönlichen Geschmack erheblich überzuckert, erinnern im schlimmsten Fall gar an Schlager. Der Zuckerguss der Produktion sorgt trotz aller satten Rockfrische für Familienkompatibilität. Die mit ihren Höraufgaben gewachsene Welt kann heute schon alles ab, Brutalmetal im Actionkracher im Kino etwa. Namen wie ‚Heavy Metal', die früher für Erschrecken sorgten, bringen heute Großmütter zum Mitpfeifen und in 100 Jahren, wenn Mr. L wieder erweckt wird, ist das Erbe der Rockmusik zu einem fernen Klumpen zusammengeschrumpft, verklebt und kaum noch in seiner Fülle und seinem Umfang nachzuvollziehen. Namen wie Pink Floyd, Led Zeppelin oder The Beatles aber sind zeitlos und gehören nicht erst in 100 Jahren zur Schulbildung.

VM



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