Verse and Radiation "Along The Celestial Ruins"
Dysrhythmia/Rothko "Fractures"
Ganon "In the Dead of Sleep"
Hematovore "Untitled"
Gezoleen "Black Spaces Between Stars"
(Acerbis Noise Development 2006/07)

Acerbis Noise Development, kurz AND, ist ein kleines, feines Independent-Label, das außergewöhnlichen Metalbands verschiedener Klangfarben eine Basis gibt und CDs veröffentlicht.
Die Avant Prog Metaller Dysrhythmia, die hier und dort neben ihren regulären Releases schon mal eine Split EP veröffentlicht haben, tummeln sich hier. Vor allem aber sind hier der breiten Masse unbekannte, junge Bands zu finden, die ihren musikalischen Aktivitäten kompromisslos nachgehen. Mainstream ist weit und breit nicht in Sicht, ebenso wie stilistische Vorgaben oder sonstige Restriktionen. Verse and Radiation aus Los Angeles meinen zu ihrer Musik: progressive post-metalcore. Hardcore, Punk, Metal, Thrash, Noise Rock finden auf abgefahrene, wilde Weise statt. Die 9 kurzen Songs bringen es zusammen auf etwas mehr als 30 Minuten. Der Druck ist enorm, es schreddert wie wild, dennoch aber sind die Verstärkerregler nicht voll aufgedreht. Gesang und Schlagzeug hämmern ins Gehör, die Gitarren schrammeln dazu, können aber auch mal anders. Partiell gibt es gar epische Partien, in den Keyboards tatsächlich so etwas wie symphonische Motive oder Space-Neo-Psychedelic-Rock entwerfen. Regeln gibt es keine. Aus der Epik kippt es in Hardrock, der mit punkiger Attitüde in den Hardcore gepuscht wird, woraus wiederum sphärische, fast schon ambiente Keyboardsounds klettern. Heavy, schräg, abgefahren und extravagant. Verse and Radiation sind eine echte Überraschung!
Nur 26 Minuten lang ist die Split EP der beiden Bands Dysrhythmia und Rothko. 3 Songs sind auf dem Silberling. Dysrhythmia sind mit dem 14-minütigen "earthquake" dabei, das weitgehend ohne Lautstärke auskommt, aber ungemein intensive Spannung baut. Klingt wie eine postmoderne Variante King Crimsons und hat mit Sicherheit Inspiration aus dem Klassiker gezogen. Wenn es laut wird, dann brachial, als explodiere der Song. Beide Combos musizieren rein instrumental, haben wichtige Positionen im Bass besetzt, der über weite Strecken Spannung und Melodie hält, während die Gitarristen sich in der abstrakten Weite aufhalten, wie Kettenhunde, deren Leinen losgelassen wurden und nun mit blutunterlaufenen Augen durch die Gegend streifen, ganz auf Beute aus, kein Kompromiss in Sichtweite. Aber nicht nur Epik wird hier betrieben, sondern auch jede Menge Gefrickel. Dysrhythmia sind Avant Prog Metaller, wobei Prog und Metal nicht zu eng gesehen werden sollten, eher wäre hier Prog Avant Metaller zutreffend. Ein Monstersong, genial!
Rothko sind stärker noch auf ihre Bassisten fixiert. Ganz allgemein wie einst im Jazzrock und konkret in der Canterbury Szene, nur halt Metal-basiert, haben die beiden (!) Bassisten - einen Gitarristen gibt es gar nicht erst, weitere melodische Instrumente sind Keyboard und Schlagzeug - ungemein viel zu tun. Der saubere, feine Klang der Tieftöner, die zarten, vollen Töne, die feine Spielweise, die Verflechtung des wachsenden Motivs, wenn nach dem melancholisch-lyrischen Beginn die Struktur an Energie und Virtuosität gewinnt und der Song spannend und aggressiv wird - das ist grandios! Auch das letzte Stück auf der CD, knapp 5 Minuten lang und aus einem langen, zerfahrenen Intro entstehend, hat diese Intensität und berückende technische Qualität. Da haben sich zwei Bands gefunden, einen feinen, wenn auch sehr kurzen Silberling anzubieten. Bleibt zu hoffen, dass neben Dysrhythmia, die 2006 ihr bisher letztes Werk veröffentlichten, auch Rothko einen Longtracker anschieben (falls sie das nicht schon längst getan haben).
Empfehlung!
Gezoleen haben auf ihrem Album "Black Spaces Between Stars" 36 Tracks, die es zusammen auf 20 Minuten bringen. Die ersten 8 Songs haben dabei eine "normale" Länge von einer halben bis drei Minuten, während 9 bis 36 das zwölfminütige "Code Blue" enthalten. Metal ist hier nur eine entfernte Orientierung. Klingt, wie aus dem Weltraum aufgenommen, als hätten technisch versierte Aliens die Möglichkeit, aus Abermilliarden Kilometern Garagenrock aus Bunkern abzuhören. Das nervöse, harsche, geradezu verschreckende Werk ist eine atonale Orgie, die aus Metalbasis in den Irrsinn des Wahnsinns aufgebrochen ist, menschliche Abgründe zu intonieren. Und hier, das sei festgehalten, bin ich zu weich. Zwar kann ich die Noise-Orgie mit dem Kopf nachvollziehen, aber nicht mit meinem Sinn für Musik. Ist mir zu heftig. Untoten-Rock aus der Klapsmühle, metallisch hart, harsch, lärmintensiv, böse - und doch, wenn man so will, auch nur eine weitere Variante populärer Musikmöglichkeiten…
Hematovore spielen auf "Untitled" die konventionellste Musik. Stilistisch ist dieser eigensinnige Instrumental-Metal etwa zwischen Isis, King Crimson und The Fucking Champs einzuordnen. Darin kann alles stattfinden, brachiale Metalattacken, extrakomplexe Breakgewitter, epische Symphonien, schwermütige Düsternis, leichtgängige, metalbetonte Popattitüde - vor allem jedoch extrem schwere Bombastdüsternis, die wohl ein Enkel Univers Zeros aus der Gosse ist, den Kopf voller Ideen, aber im falschen Leben, der falsche Straßenseite geboren. Das 10-minütige "Kamacuras and spiega" will durchgehalten sein. Wer danach noch Lust auf Musik hat, es gibt noch zwei kürzere Tracks. Was hier an technischen Sperenzchen geleistet wird, geht ans Mark. Ein Konzert von den Jungs und die Stille der Ostsee ist Gott. Tipp!
Ganon gehören zu der Sorte Extremisten, die als Urenkel King Crimsons mit dem Esslöffel die Hölle auskratzen. Dillinger Escape Plan, Isis, Black Dahlia Murder, American Heritage, Sleepytime Gorilla Museum, Cryptosy, Coliseum - usw., allesamt abgefahren schräg musizierende Bands, selten weit von Metal entfernt, zumeist deren Krönung.
Die 5 Songs, zwischen 4 und 14 Minuten lang, sind sehr kontrastreich. Klangen eben noch Tool als Inspiration durch, ist es jetzt Don Caballero, Neurosis oder Pelican. Der Gesang ist brachial, eine überaus schwere und aggressive Variante im Erbe des Hardcore. Die Gitarren schrammeln hier, schneiden dort, zwischen technischer Finesse und tiefsten Riffs gibt es nur ein Break und die Band rockt Hölle. Wahrhaft ein Ohrenschmaus für gewisse Momente. In seiner Kompromisslosigkeit und Dynamik überaus überzeugend und mitreißend. Während die Gitarre den Horizont aussägt, singt der Bass und über das Bild gleißt die Keyboardsonne. In verloren leisen Momenten schwebt die Band in Melancholie entrückt, doch wieder findet sich wilde Härte, die wie ein Sturm Band, Instrumente und Verstärker wegreißt und Lärmchaos aufbricht. Gute Band, gewöhnungsbedürftig hart, aber sehr gut.
Bleibt zu sagen, dass das Label interessanten Bands eine gute Basis gibt, und zu hoffen, dass in der Masse der jährlichen Veröffentlichungen dieser kreative Avant Metal Nachwuchs nicht untergeht und seine Fanschar findet.

myspace.com/verseandradiation
dysrhythmiaband.com
rothkomusic.co.uk
myspace.com/gezoleen
myspace.com/hematovore
theganoncenter.com
acerbicnoise.com
VM



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