Abigails Ghost "d_letion" (Aesperus Music, VÖ: 23.06.2009)

Wenn eine Sache, ein Stil in die Jahre kommt und die Nachkommen sich dessen annehmen, was die Vorderen als solches kreiert haben, kommt meist etwas ganz anderes dabei heraus, als das, für das der Name, Titel, die Beschreibung, der Stil, die Überschrift einst erdacht war. Progressive muss sich auch verändern, und nichts ist spannender als die breite Fülle unter dem Label. Progressive als Schmalspur, das Genre, der Name, und was als Historie dahinter steht, würde unweigerlich und zu Recht vergessen werden.
Progressive ist heute ein Titel, unter dem sich eine ganze Sparte lümmelt, von Avantgarde, Freejazz auf der einen und alternativem Pop auf der anderen Seite, Spacerock (ganz oben) und Death Metal (weit unten) arbeiten die unterschiedlichsten Musiker und Bands progressive Songs aus. Im Laufe der Jahre ergeben sich daraus wieder neue Unterlabels, Veränderungen und Verquickungen und das Genre verjüngt sich und blickt immer noch auf seine Urahnen zurück.
Abigails Ghost sind wohl am einfachsten als Alternative Prog benannt. Metallische Gitarren, komplexe Schlagzeugarbeit, immer mit fettem Groove im Handgelenk, dünne Keyboardtapete als marginale Farbspielerei, eingängige Songstrukturen mit nachvollziehbaren Gesangslinien, markante, helle Jungmännerstimme, druckvoller, kraftvoller Sound, komplex aufgebaute Kompositionen, die monotone Emotionspassagen wie verflixt aufwendige Partien miteinander verweben, wenig instrumentaler Freiraum, und wenn, dann als Ausbau für den Stimmraum, der die Songs komplett bestimmt, melodisch den Gesang unterfütternder Bass - die Band hat ihren Stil gefunden und beschreitet ihren Pfad sehr ansprechend. Die Kompositionen sind nicht fad, eher Alternative als Progressive, eher Metal als Pop, und doch von großer Eingängigkeit, was der lichte Gesang und seine fein austarierten, samtenen Gesangsarrangements macht. Die metallischen Gitarren und der fette Schlagzeughammersound haben zwar metallisches Flair, wirken aber im Komplettarrangement weitaus weniger aggressiv, als es im Metal durchaus sein kann.
Nicht Aggressivität steht dem Fünfer im Sinn, sondern kunstvoller Sound, der sich aus den verschiedenen Einflusszonen speist, den zu verquicken sie auf die Bühne gekommen sind.
Sie haben ihre Sache gut gemacht. Nicht nur, dass die Songs locker und versiert aus den Boxen purzeln - die technische Einspielung ist perfekt geraten, jeder weiß, sein Instrument mit Lust und Laune zu bedienen - ganz über der Musik steht ein entspannter Zeitgeist, der ein wenig satte Düsternis, epische Melancholie, druckvolle Härte, intelligente musikalische Themen und im Booklet nachzulesende ganz und gar undumme Texte verbindet. Kann man sich anhören, ohne vor peinlichen Entdeckungen gefeit sein zu müssen. "d-letion" ist eine ganz und gar tolle Progressive Pop Platte - um es mal so einzukürzen, denn mehr will sie nicht sein - die durchaus Format erkennen lässt, auch im weiten Feld des Mainstream ihre Anerkennung und Aufmerksamkeit zu bekommen.

abigailsghost.com
justforkicks.de
VM



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